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Kack-Zeiten

October 26th – Leipzig

Rumo und ich haben morgens ein Ritual: aufstehen, Kaffee kochen, Morgenpipi-Runde, Stopp beim Bäcker zum Möhrenbrötchen kaufen, nach Hause, Frühstücken. Manchmal ergänzen wir unseren alltäglichen Start in den Tag durch einen Stopp in der Elsterpassage, zumeist dann, wenn im Kühlschrank oder Haushalt was fehlt. So auch letzten Freitag. Bewaffnet mit Einkaufsliste und Karte (um kontaktlos zu zahlen) wackelten wir nach dem Bäcker noch zum Edeka. Rumo schnallte ich wie immer vorm Eingang in der Nähe des wackelnden Kinderspielautos an; manchmal frage ich mich, ob er da auch gern mal ne Runde drin fahren will, so verliebt und begeistert wie er es meist begutachtet… Ich selbst schnappte mir einen Einkaufswagen (ohne kommt man nicht am Türsteher vorbei) und laufe zielstrebig die Regale ab. Mir fallen größere Lücken auf, dann wird mir klar: wir sind echt früh dran, die Mitarbeitenden des Marktes müssen erst mal auffüllen. Mein Wagen füllt sich dennoch mit allem notwendigen, Milch, Hundefutter… zu guter Letzt brauche ich noch Klopapier. Ich biege in den Gang ein und… schaue auf gähnend leere Regale. Ein Mann läuft verzweifelt am Regal auf und ab, vielleicht hofft er, dass jemand seinen Wunsch erhört, die Regale ganz dringend aufzufüllen oder: er muss ganz dringend 😉 Kurz hoffe ich, dass er sich nicht ins leere Regal hockt, um sein Geschäft zu verrichten, grinse bei dem Gedanken. In dem Moment schaut er mich an, sein Blick strahlt pure Verzweiflung aus, murmelt etwas in meine Richtung was ich leider nicht verstehe, greift dann entschlossen zu drei Packungen Taschentüchern und bewegt sich leicht gepresst Richtung Kassenbereich. Ich glotze weiter auf die leeren Regale, entdecke dann ein kleines gelbes Schild, was den „netten Kunden“ darauf aufmerksam macht, dass es keinerlei Gründe gäbe, Klopapier zu hamstern. Entweder konnten die meisten nicht lesen oder das Schild kam nach dem Klopapierausverkauf… Nobody knows.

Als ich in Neuseeland war und dort in den Läden Mehl und Fleisch ausgingen, hörte ich davon, dass die Deutschen im Lockdown vor allem Klopapier kaufen würden… Ich gestehe: so richtig glauben konnte ich es nicht. Es ist so unvorstellbar, dass es Menschen gibt, die daheim bleiben sollen wegen Lockdown oder so (aber noch einkaufen gehen dürfen) und als erstes Panik bekommen bei dem Gedanken, kein Klopapier mehr im Haus zu haben? Als ich letzten Freitag auch aus zwei weiteren Läden im Leipziger Westen ohne Klopapier ging, weil es schlichtweg keines mehr gab, begann ich mal zu stöbern. Laut unterschiedlichen Seiten nun folgende (Funfact-) Sammlung:

1. Deutschland ist im pro Kopf Verbrauch von Klopapier bis zum Jahr 2019 Vizeweltmeister gewesen. Knapp hinter den USA wischten sich die Deutschen durchschnittlich 134 Rollen (pro Kopf) am Arsch vorbei (das sind ca 12,2 kg Klopapier). Vermutlich „schaffen wir es“ in diesem Jahr auf Platz 1 – dank der Hamsterkäufe =).

2. Durchschnittlich verbringt jeder Mensch drei Jahres seines Lebens auf der Toilette. Witziger Vergleich pro Durchschnittsleben: rund 24 Jahre schlafen wir; rund 13 Jahre reden wir; knapp 3 Jahre sitzen wir im Auto und wohl gut 12 Jahre vor dem Bildschirm.

3. Es gibt einen Tag des Klopapiers in Deutschland: das ist jährlich der 26. August. Der Welttoiletten-Tag der Vereinten Nationen wurde 2013 für den 19. November jeden Jahres ausgerufen. Der Gedanke dahinter: es soll auf die weltweiten Missstände aufmerksam gemacht werden, dann knapp 40% aller Menschen haben auch 2020 keinen Zugang zu sanitären Anlagen!

4. Wer hat das Klopapier erfunden? So genau legen sich die Kulturwissenschaftler da nicht fest: „Arschwurzen“ aus der Bronzezeit fanden Archäologen im Salzbergwerk Hallstadt im Salzburger Land, wobei es sich um „Pestwurzen-Blätter“ handelt, die zum Hintern abputzen genutzt wurden… die erste literarische Erwähnung findet sich in chinesischen Schriften des 6. Jh.

5. Die Lieblingsbeschäftigung der Deutschen auf dem Pott ist übrigens Lesen, dabei ist die Zeitung vom Smartphone längst abgelöst worden. Witziger Internetfund dazu: „Wenn die Natur ruft, achten Briten wohl nicht mehr auf ihr Hab und Gut. Denn jährlich landen in Großbritannien 855.000 Handys in der Toilette und werden runtergespült. Das ergab eine Umfrage des Preisvergleichs-Dienstes simplyswitch.com. Insgesamt, so die Umfrage, gehen jedes Jahr gut 4,5 Millionen Mobiltelefone auf der Insel verloren. Die zweithäufigste Ursache nach dem „Tod durch Ertrinken“ ist das Liegenlassen in der Kneipe (810.000), im Taxi (315.000) oder im Bus (225.000). Doch den Geräten drohen noch schlimmere Gefahren: 58.500 werden jährlich von Hunden durchgekaut und 116.000 drehen ein paar Runden in der Waschmaschine.  (Quelle: https://www.jubatec.eu) Ist euch das Handy auch schon mal ins Klo gefallen? Bisher bin ich davon verschont geblieben? (Ein kleiner Gruß geht meinerseits an dieser Stelle augenzwinkernd mit einem Insider-Blick an meine liebe Freundin Helena =) )

6. Und was machst du mit leeren Klopapierrollen? Ich hörte, dass manche sie zu Kunstwerken im eigenen Bad stapeln. In meinem früheren Leben als Gemeindepädagogin verbastelte ich sie mit diversen Kindergruppen zu Rasseln, Stiftehaltern oder Laternen. Rumo zerfleddert sie am liebsten wie ein Schredder. Und du so?

Abschließendes Statement: Bei Corona handelt es sich um ein Kack-Virus, was aber zum Glück nicht die ungezügelte Scheißerei mit sich bringt. Deswegen: lasst bitte ein paar Rollen im Regal liegen für all jene, die sie wirklich brauchen =)

Wahlnachgeschmack

October 20th Leipzig

Ich melde mich zurück. Die aufmerksamen Nachrichtenleser unter euch haben bestimmt schon sehnlichst auf meinen „Senf“ gewartet, den ich zur zurückliegenden Wahl in Neuseeland dazugeben würde. Ich habe einige Zeit keine richtigen Worte gefunden, weil ich im Zwiespalt bin zwischen deutscher Berichterstattung, neuseeländischen Internetseiten und den Rückmeldungen, die ich von Freunden aus Neuseeland bekomme. So gefeiert, wie Frau Ardern zuletzt am Wochenende bspw. von der Tagesschau dargestellt wurde, ist sie in ihrem eigenen Land nicht in Hülle und Fülle. Freilih sind die Neuseeländer froh und dankbar, wie stringent die Politik sie die letzten Monate durch die „Coronakrise“ geführt hat. Und ich kann auch getrost bei meinem Standpunkt bleiben, den ich im Mai formulierte: Jacinda Ardern hat gute bzw. bestmögliche Politik für ihr Land gemacht – betrachtet man die Gegebenheiten vor Ort. Das, was vielen Bürgern der Insel – und auch mir in meinem kleinen Eindruck von außen – fehlt, ist eine Perspektive. Und so wird sie von den Neuseeländern weniger gefeiert, als berichtet…

Zu Beginn diesen Monats wurde die Grenzschließung zumindest formal gelockert: es ist jetzt Verheirateten und Paaren mit minimum 2 Jahren Beziehung und Familienangehörigen möglich, sich „einfacher“ auf ein Visum zu bewerben. Es ist auch formal leichter, zwischen Neuseeland und Australien zu reisen. Doch Papier ist geduldig und alle scheinbar geleicherte Einreise hängt vor allem vom Wohlwollen der Bearbeiter ab. Möchte jemand vo Auckland aus seine Familie in Australien besuchen, muss er bei Ausreise aus Neuseeland schon den „Quarantäneschein“ für die Rückreise nachweisen – das kostet. Nicht nur den Schein zu bekommen, sondern leider in den meisten Fällen auch die 14tägige Quarantäne in einem von der Regierung festgelegten Hotel. Und ob betreffende Personen dann überhaupt ins Flugzeug einsteigen können, ist bis Abflug auch nicht sicher…

Ein weiterer Punkt: immer wieder höre ich von Bekannten aus NZ und lese es auch in den jeweiligen Facebook-Gruppen, dass händeringend Arbeiter vor allem in der Landwirtschaft gesucht werden. Wo ehemals viele Betriebe auf Work-and-Travel-Leute zurückgreifen konnten, gibt es mittlerweile niemanden mehr im Land. Händeringend wird gesucht. Wann wieder eingereist werden kann, um zu reisen und zu arbeiten, steht in den Sternen.

Seit Beginn des Lockdowns vor 7 Monaten liegt der Tourismus in Neuseeland weitgehnd brach. Zwar dürfen Einheimische im Land wieder ungehindert reisen, doch die Grenzen bleiben für den internationalen Tourismus dicht. Noch vor Corona waren jährlich ca. 4 Millionen Menschen ins Land eingereist, um Urlaub zu machen und ließen dabei durchschnittlich pro Kopf 4000 NZD im Land. Allein in der Reiseindustrie arbeiten mindestens 200 000 Neuseeländer. Jetzt könnte man ganz spitz sagen: „Die könnten doch einfach in die Landwirtschaft wechseln!“ Und tatsächlich gibt es Projekte, Arbeiter umzuschulen und ihnen eine neue Arbeitsperspektive zu geben. Auch überlegt man kühn, die 5-Tage-Woche auf 4 Tage bei gleichem Gehalt zu kürzen. So könnten die Neuseeländer selbst mehr reisen, müssten aber gleiche Arbeit in weniger Zeit schaffen. …Vermutlich verlagert sich dann das Problem hinsichtlich mehr Ausfällen wegen Überarbeitung. Und ob die Neuseeländer selbst einen erwarteten Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von 10% abfedern könnten, bleibt wahrscheinlich Wunschgedanke.

Bleibt zu hoffen, dass die Regierung bald eine Idee liefert für dieses wunderschöne Land, in das auch ich gern wieder reisen würde.

Zusammen ist man weniger einsam

Die aktuelle Diskussion um Corona-Restriktionen und innerdeutsche „Risikogebiete“ ist für mich vieles, aber vor allem ein „ermüdender Aufreger“. Möge man die Sinnhaftigkeit von Masken und Abstand diskutieren, möge man Sperrstunden und Alkoholverbot befürworten, möge man den ersten Stadionbesuch bei RB feiern oder Kopfschütteln darüber haben, möge man altbekannte Hygieneregeln als neu beklatschen… whatever. Dass ich den Lockdown in Deutschland nicht miterlebt habe und mich deswegen dazu schlecht äußern kann, ist die eine Seite. Doch ich erlebe seit einigen Tagen immer wieder Menschen in einer Stadt, denen es an Empathie und Respekt im Umgang miteinander missen lässt. Und das macht mich traurig, denn an genau den kleinen Punkten des Alltags wird es doch deutlich, ob wir in der Lage sind, rücksichts- und verständnisvoll, empathisch und freundlich miteinander umzugehen und in Gesellschaft zu leben.

Dass immer wieder angedeutet wird, die steigenden Zahlen und das Missverhalten Einzelner könnte zu einem neuen Lockdown führen, macht mich noch genervter (bin mir nicht sicher, ob dieses Wort das wirklich treffende ist…), haben doch vereinzelte Studien gezeigt, dass die Isolation und das „Weggesperrtsein“ einzelner Menschen in Zimmern, Wohnungen und Wohnheimen vor allem psychische Erkrankungen befeuern kann. Auch das Ringen ganzer Berufsgruppen um die wertschätzende Anerkennung ihres Schaffens – und dabei denke ich nicht nur an Sänger und Musiker – ist Spiegel einer Gesellschaft.

Die Corona-Restriktionen und der Umgang mit diesem „Phänomen“ ist eines definitiv: polarisierend und gefühlt eine „never-ending-story“. Vor einigen Tagen fiel mir ein alter Artikel über „Einsamkeit“ in die Hände, den ich vor 11 Jahren veröffentlichen durfte und der an einigen Punkten passt zu „Sperrzonen in Corona-Zeiten“. Ja, er ist etwas älter und an manchen Punkten hätte ich heute gern selbst den Rotstift angesetzt ;-). Doch ungeachtet dessen hat er mich erneut nachdenklich gestimmt über das Alleinsein, das Verlassensein, das Nichtgesehensein, das Einsamsein. Wer mag, lese ihn gern (in leicht gekürzter Variante):

Zusammen ist man weniger einsam“ (2009, erschienen in der MATipp 4/2009)

„Jeden Morgen eines Arbeitstages beginne ich mit einem Kaffee in der Hand an meinem Schreibtisch. Ich sortiere die Papierstapel um, welche ich bearbeiten müsste, in der Hoffnung, dass sie kleiner würden. Dann lege ich mir meinen Kalender als auch alle Unterlagen parat und schalte meinen Laptop an. Während er noch hochfährt, vernehme ich schon den vertrauten Begrüßungston von „skype“ und sehe bei „icq“, wer gerade online ist. Wie gewohnt, gehe ich „online“, logge mich in meinen Emailaccount, wühle mich durch Spam und Co., um anschließend meinen „Facebook“- sowie „Meinvz-account“ aufzurufen. Ich schaue mir dort die Bilder der letzten Israelreise an, prüfe ob mich jemand neu hinzugefügt hat und schreibe an verschiedene Pinnwände. Im Hintergrund läuft eine viel gehörte Wiedergabeliste von „Youtube“ und der Tag hat einen wunderbaren Anfang genommen. So früh ist kaum jemand, meiner Freunde online und so beginne ich meine Arbeit – währenddessen im Hintergrund meines Bildschirms der „Freundeskreis“ langsam zum Leben erwacht.

Heute birgt mein Schreibtisch eine nicht alltägliche Herausforderung: einen  Artikel zum Thema „Einsamkeit“ zu schreiben. Sofort höre ich innerlich ein Lied von „Polarkreis 18“ „allein, allein“ und vor meinem inneren Auge zieht der Film „Zusammen ist man weniger allein“ vorbei. Ich frage mich, was Alleinsein und Einsamkeit bedeuten. Herrscht letztere dann, wenn ich allein bin? Ist das etwas, was nur ich fühle oder merken meine Einsamkeit auch andere? Und wo bin ich eigentlich einsam? Ich bemerke, dass Einsamkeit scheinbar von allen als etwas Negatives gedacht wird, und frage mich, wie wohl die andere Seite dieser Medaille aussehen könnte. In all meinem Fragen beginne ich fast automatisch, das Internet zu durchforsten.

Den Begriff „Einsamkeit“ googelnd, stoße ich zunächst auf psychologische Hilfsforen und erst ein paar Klicks später auf eine allseits genutzte Internet-Enzyklopädie. Diese formuliert „Einsamkeit“ als ein menschliches Gefühl, von anderen getrennt und abgeschieden zu sein. Weiterhin führt diese Seite aus, dass Einsamkeit als Synonym für soziale Isolation verwendet werden kann oder als Bezeichnung einer persönlichen Auffassung, an einem Mangel an sozialen Kontakten zu leben. Da habe ich vermutlich das Grundproblem entdeckt, „Einsamkeit“ fassen zu wollen. Jeder fühlt sie anders und somit ist sie nicht von außerhalb mess- oder definierbar. Dann bleibt immer noch die Frage nach dem Unterschied zwischen Einsamkeit und Alleinsein. Allein sein und einsam sein sind zwei Paar Schuhe. Auch hier ist die Grenze eine subjektiv gefühlte. Einsamkeit und Alleinsein wird schnell verwechselt, denn nicht jeder, der allein ist muss sich zwangsläufig einsam fühlen. Alleinsein kann wohltuend oder bestrafend erlebt werden. Einsamkeit beherrscht uns dann, wenn uns ein Gefühl von Ausgeschlossensein und Verlassensein beschleicht. Die Diplom-Psychologin Dr. Doris Wolf teilt Einsamkeit in drei Phasen: die momentan, vorübergehende Einsamkeit, der langsame Rückzug und die chronische Einsamkeit. (http://palverlag.de/Einsamkeit.html)

Der geschichtliche Siegeszug der Einsamkeit beginnt mit der Industrialisierung. Hier entsteht etwas Einzigartiges: die bürgerliche Gesellschaft und die daraus resultierende bürgerliche Familie. Man beginnt den Rückzug in das Häusliche, in das Private. Mit diesem Gang aus der Öffentlichkeit starteten die Menschen den Weg in die Einsamkeit. Die einsetzende Industrialisierung, gekennzeichnet durch menschenablösende Maschinen in immer größeren und unpersönlich werdenden Fabriken, unterstrich den Rückzug in die familiäre Enge und die Individualität. Nicht nur, dass die Familie privater und eingegrenzter wohnte, auch entwickelten sich in dieser Zeit neue Familienbande und die „Jugend“ entstand. Nun gab es eine Zeit zwischen Kindsein und Familie gründen – eine Zeit, in der es galt, einen Beruf zu erlernen und diesen auszuüben. Die allgemeine Schulpflicht wurde eingeführt, und so erlebte der Nachwuchs geschichtlich das erste Mal das Getrenntsein von der Familie und das „Allein-unterwegs-sein“ in Schule und anderen Menschengruppen. Hier verlor das Vertraute. Seit dieser Zeit lässt sich die zunehmende Individualisierung verzeichnen, welche bis heute nicht stoppte und sich zum Problem entwickeln kann.

Besonders in Kunst und Literatur wird auf die Rückseite der „Einsamkeits-Medaille“ geblickt. So schrieb schon Friedrich Nietzsche: „Die Einsamkeit macht uns härter gegen uns und sehnsüchtiger gegen die Menschen, in beidem verbessert sie den Charakter.“ August von Platen sieht nur in der Einsamkeit den Vollgenuss des Lebens. „Wenn du der Einsamkeit begegnest, hab keine Angst. Es ist die beste Gelegenheit, mit sich selbst Freundschaft zu schließen“, führt ein unbekanntes Sprichwort aus. Rainer Maria Rilke knüpft die Bande zwischen Einsamkeit und Liebe: „Darin besteht die Liebe; dass sich zwei Einsame beschützen und berühren und miteinander reden.“ Die Aufklärung wertet Einsamkeit zumeist positiv, denn hier entzieht sich der Mensch dem hektischen Alltag und versucht sich auf sich selbst zu besinnen. Caspar David Friedrich, Vincent van Gogh, Wolfgang Amadeus Mozart, Franz Schubert, Robert Schumann, Jean Sibelius, Edward Hopper – Meister der Einsamkeit. Und nicht zuletzt wendet sich Hermann Hesse in seinen Werken „Demian“ und „Siddartha“ der Ambivalenz von Einsamkeit und Gemeinsamkeit zu.

Schon Erasmus von Rotterdam stellte fest, dass „eine große Stadt große Einsamkeit“ bedeutet. Aber der Mensch als solcher ist doch nicht für die Einsamkeit geschaffen. So formulierte auch Johann Gottlieb Fichte weise: „Der Mensch ist bestimmt, in der Gesellschaft zu leben. Er soll in der Gesellschaft leben. Er ist kein ganz vollendeter Mensch und widerspricht sich selbst, wenn er isoliert lebt.“ Wir sind also alle geschaffen als Beziehungsmenschen, und die Gesellschaft, in welcher wir leben, lässt es nicht zu, dass wir keine „sozialen“ Kontakte haben. Das heißt im Umkehrschluss, dass niemand „a-sozial“ ist oder leben kann ohne einen anderen. Ständig befinden wir uns in Gesellschaft, sei es in vertrauter oder fremder – öffentlich Linienbusfahrende, Hausbewohner, Autofahrende in einer Stadt, Zoobesucher, Geburtstagsgäste, Einkaufende, Betende, Feiernde, Wartende. Sie alle befinden sich in Gesellschaft, und selbst ein Eremit kann in letzter Konsequenz nicht ganz allein leben, denn er bedarf der Spende.

Wenn also niemand allein auf einer Insel leben kann – denken wir an Robinson Crusoe – warum fühlen sich dann ausgerechnet in dieser hoch vernetzten, globalisierten Welt so viele Menschen einsam? Ständig umgeben uns Menschen, ständig sind wir in Kommunikation – nicht zuletzt besonders die Generation „facebook“, „myspace“ und „vz“. Es stehen uns heute so viele Möglichkeiten der Kommunikation zur Verfügung und sie bieten uns eine  neuartige Form der Verbindung. Mittlerweile sind diese neuen Wege alltäglich, gewohnt, vertraut. Und doch erleben gerade heute so viele Jugendliche Einsamkeit.  Ich selbst gehöre dieser Generation an, und so wage ich die kühne These, dass gerade in dieser wahnsinnig einfachen, leichten Kommunikation der Knackpunkt der Einsamkeit liegt: die Oberflächlichkeit. Von der anderen Seite betrachtet heißt das, dass die Tiefgründigkeit der hohe Preis ist, den wir für dieses riesige soziale Netz zahlen. Da fällt mir ein Gespräch mit meiner Oma ein, welche erzählte, dass sie es, als sie jung war, geliebt hat, Briefe zu schreiben und zu bekommen. Wie erfüllend sie es erlebte, nach den richtigen Worten zu suchen und wie spannend, den Brief abzusenden. Dieses Warten, dieses Aushalten des Antwortbekommens, diese Vorfreude auf den Rückbrief, diese Einsamkeit während des Wartens – alles Empfindungen, welche ich schwerlich nachvollziehen kann. Heute kann jeder schnelle Worte formulieren und flotte Antworten kriegen.

Für viele Menschen unserer Gesellschaft ist Einsamkeit ein Problem, doch für Jugendliche besonders. Sie befinden sich auf der Suche nach einer sozialen und persönlichen Identität, fragen nach dem, was wichtig und wesentlich ist. „Sie verkörpern offenkundiger als andere Altersgruppen in ihrem Erscheinungsbild und in ihren Verhaltensweisen sozialen und kulturellen Wandel, aber auch den Widerspruch: zur Familie, Schule, zur gegebenen Gesellschaftsordnung, zu überkommenen Normen, Werten, Sitten und Bräuchen.“ ( Schäfers 1989) Nicht nur, dass Jugendliche nach sich selbst suchen und fragen, die Gesellschaft teilt sie auch noch ein: in bürgerliche und bäuerliche Jugend, in Sonderschüler, Gymnasiasten, Studenten, Bundeswehrangehörige, in Ausländerjugend und Jugend in Obdachlosigkeit, Jugend in städtischen Problemgebieten, Vereins- und Verbandsjugend und Rocker etc. Unnötigerweise verschiebt sich auch noch die Jugendphase mit der Verlängerung der Ausbildungszeiten und dem längeren Verweilen in der Herkunftsfamilie. So sind sie in letzter Konsequenz mit 25 zwar jung und erwachsen, jedoch mündig ohne wirtschaftliche Grundlage. In aller gesellschaftlichen, familiären und bildungspolitischen „Verwirrtheit“, in aller Fremdbestimmtheit und allen erlittenen Misserfolgen, in aller Unsicherheit und Desorientierung, in Rollen- und Statusproblemen, möglicher Arbeitslosigkeit und Angst vor der Zukunft versuchen Jugendliche sich vom Elternhaus abzulösen und die außerfamiliären Beziehungen gewinnen an Bedeutung. Es entsteht eine „neue Unübersichtlichkeit“ (Habermas 1985) sowie eine Gleichzeitigkeit von Resignation und Protest. „Die Erwachsenen fordern von Jüngeren vor allem, dass sie bürgerliche Leistungstugenden (Fleiß, Pflicht, Disziplin etc.) übernehmen und den Angeboten der Konsumgesellschaft stärker widerstehen. Auch legen die Älteren Wert auf gute Umgangsformen der Jüngeren. Diese wiederrum bevorzugen eher informelles, spontanes Verhalten und fordern mehr Toleranz und Offenheit“. (Baacke) Jugendliche stehen vor der schwierigen Aufgabe, sich selbst in einem gesellschaftlichen System zu verorten, welches fordert und wirbt. Mode, Konsum und Medien beeinflussen stärke als mittelbare Institutionen wie Familie, Schule oder Berufsgruppe. Stars verkörpern Provokation, Auffälligkeit und Coolness. „Es sind die Medien, die den Stoff besorgen, aus dem die Individualität gemacht wird.“ (Baacke) Hier können sich Jugendliche bewusst zu den Traditionen abgrenzen, aber hier lauert auch die Einsamkeit. In vorhandenes Leben werden neue Tätigkeiten und Sinn-Orientierungen implantiert und damit kommt das Alleinsein, obwohl jemand im Netz das gleiche tut, der aber eben nicht neben einem sitzt.

Einsamkeit ist ein Gefühl, welches jedem Menschen vertraut ist; jeder kann und wird anders damit umgehen. Es gibt kein „Allgemeinrezept“ aber doch einige Anregungen zum Umgang mit diesem beklemmenden Gefühl. Wer beginnt zu reden, zu klagen, sich auszudrücken, beginnt auf eine eigene Art und Weise, sich auf den Weg aus der Einsamkeit zu begeben. Diese Klage, dieses Rufen, dieses Schreien braucht ein Gegenüber – sie es aus vertrauten Freundes- oder Familienkreisen oder fremden Chatpartnern, denn sicher wird auch das „Internetgegenüber“ reagieren. Jeder sollte sich das Gegenüber suchen, das ihm gut tut. Ein Gegenüber, das einen ernst nehmen und zuhören kann. Einen anderen Sichtpunkt liefert Arthur Schopenhauer: „Ein Hauptstudium sollte sein, die Einsamkeit ertragen zu lernen, weil sie eine Quelle des Glückes und der Gemütsruhe ist.“ Hier eröffnet die Beschäftigung mit der Einsamkeit ein Feld des Lernens. Der Umgang mit ihr führt möglicherweise zu einer persönlichen Reife, welche dann neue Wege eröffnen kann. Wenn sich der Mensch mit sich selbst auseinandersetzt, dann ordnet er sich auch neu und hebt den Blick für andere Perspektiven.“

Sommer ’89

Oktober 7th – Leipzig

Ich bin euch einen Nachtrag vom Wochenende schuldig. Einen Beitrag zum Sommer 1989 hatte ich angekündigt. Eine kleine Collage aus Eindrücken sollte es sein, Worteindrücke, Momente, Blitzlichter eurerseits. Inspiriert zu diesem Gedanken hatte mich das Lied „Sommer ’89“ der Indiegruppe Kettcar

Im Sommer 1989 war ich noch nicht einmal sieben Jahre alt. Dunkel erinnere ich mich an den Kindergarten in Affalter, an die Osterbastelei aus Fit-Flaschen im Jahr 89, an die Ferienspiele und das Freibad. Ich erinnere mich an den Schulanfang in der „Linde“, sehe mich selbst vor meinem inneren Auge noch ganz aufgeregt auf einem der Stühle wackeln, auf der Bühne gab es das traditionelle und höchstbeliebte Theaterstück über den „Zuckertütenbaum“, die „fliegenden Bienchen“ mit ihren kleinen Flügelchen, „Alice“ und eine flammende Rede über die DDR, hinter uns erlitt eine Frau einen Schwächeanfall, ich bin stolze Trägerin einer Zuckertüte (leider weiß ich nicht mehr, was sie krönte), wir verlassen Hand in Hand die „Linde“ und laufen in die Grundschule, ein erstes Klassenfoto entsteht mit unseren winzigen Nasen und der tollsten Grundschullehrerin der Welt… kleine Blitzlichter eines Schulanfangs 89.

Carola schreibt: „Ich war damals 15 und habe im Sommer 89 als Westdeutsche mit meiner Schulfreundin bei deren Tante in Ostberlin Urlaub gemacht. Sowas machte sonst keiner. Meine Erinnerungen: Schikane am Grenzübergang „machen Sie bitte Ihr Ohr Frau“ und Zwangsumtausch. Aber auch weltbeste panierte Schnitzel bei der super lieben Tante Inge und zum ersten Mal Sat 1 und RTL geguckt (dafür gab’s bei uns auf dem Land keinen Empfang). Und das Gefühl, dass das Leben in Ostberlin anders aber irgendwie auch normal ist. Und die Erinnerung daran, dass ich mir im Sommer nie hätte vorstellen können, dass es diese Grenze irgendwann mal nicht mehr gäbe. Ich hatte als Kind und Jugendliche nie bewusst Veränderungen von Grenzverläufen erlebt. Was im Dierke Weltatlas stand, war Gesetz.“ Und Carola ergänzt auf mein neugieriges Nachfragen: „Früher waren Passfotos oft so (ganz leicht seitlich) aufgenommen, dass auch ein Ohr als Erkennungsmerkmal auf dem Bild zu sehen war. Bei der Passkontrolle musste ich also mein Ohr zeigen, da es leicht von Haaren bedeckt war. Dass alles mit einem reichlich motzigen Ton unter fiesestem Neonlicht in einer engen Kontrollschleuse… da habe ich als 15jährige mächtig Schiss gehabt. Rückblickend bin ich beeindruckt, dass meine Eltern uns zwei Teenies vom Dorf diese Reise haben überhaupt machen lassen.“

Und, was hast du gemacht im Sommer ’89?

Manchmal, wenn der Herbst so riecht wie heute abend

Manchmal, wenn der Herbst so riecht wie heute abend

ahne ich, dass ich endlich bin, dass die Welt aufhört in mir und irgendwann auch um mich her;

ahne ich, den Tag an dem mein Herz nicht mehr schlägt für diese Welt und ich gehen werde und dir in die Arme fallen.

Immer, wenn der Herbst so riecht wie heute abend

vermisse ich deine wärmenden Hände, dein umarmendes Lachen, deine weiten Arme und dein liebendes Herz;

vermisse ich deine gestrickten Socken, deine Buttermilchgetzen, deinen tiefen Blick und deine Trotzdem-Liebe.

Immer, wenn der Herbst so riecht wie heute abend

wird mein Herz klamm und meine Haut gefroren, wird mein Atem flach und meine Augen tränend,

wird meine Seele hoffend auf ein Wiedersehen mit dir, in einer Welt, die mein Kopf noch nicht kennt, mein Herz jedoch ahnt.

(entstanden am 30.09.2020, Leipzig)

Ergänzung der Autorin: Kein Text, um sich Sorgen zu machen =). Ein Text, eine Erinnerung, eine Ahnung, eine Hoffnung… die ein kühler Herbsthauch auslöste)

Online-Flohmarkt vs Wegwerfen

(aktualisiert am 26.10.2020)

In Zeiten von Corona: Onlineflohmarkt statt Hausflohmarkt. Wobei ich gestehe: ein Flohmarkt mit Begegnung ist kaum etwas zu ersetzen!

Warum Onlineflohmarkt? Ich muss mich verkleinern. Meine Miniwohnung kann einfach nicht so viel Besitz beherbergen wie die vorigen 90qm. Doch: vieles ist schlichtweg zu schade zum Wegwerfen. Deswegen hier: Trödel für die Welt =) Sortiert nach Themen in Galerien, die zur Berieselung in slideshows funktionieren – ohne Preisvorschläge, vieles einfach auch nur zu verschenken oder einzutauschen (gegen Kaffee, Dentastix oder Klopapier). Macht mir einfach einen Vorschlag! Ich kann euch die Sachen schicken oder liefern oder ihr holt sie ab… (susann.finsterbusch@gmail.com oder bei Whatsapp 01786366321)

Und bitte teilt den Beitrag kräftig! Die Dinge müssen schnellstmöglich weg… Folgendes erwartet euch gleich: Pflanzen, Möbel (groß und klein), Dinge für das Büro oder den Schreibtisch, Spiele und Musikinstrumente, Lampen, Küchenutensilien, Taschen, Kleidung, Bücher ohne Ende, Zeitschriften, Bikersachen, Klimbim & Deko…

Büro und Schreibtisch:

Spiele und Musikinstrumente:

Lampen und andere Geräte:

Küchenutensilien:

Klimbim & Deko:

Taschen, Accessoires & Kleidung:

Kinderbücher:

Zeitschriften & Zeitungen, Reiseliteratur:

Bikersachen:

und last but not least: Bücher ohne Ende…

1989/1990

Heute bist Du gefragt!

Für das kommende Wochenende plane ich einen Blogbeitrag zum Sommer 1989 bis Herbst 1990. Ich würde mich sehr freuen und es wäre mir eine Ehre, diesen mit Deinem (supergern auch anonymen) Wortbeitrag zu bestücken – wie eine kleine Collage.

Deswegen schick mir gern Deinen Beitrag zum Sommer 1989 bis Herbst 1990. Eine konkrete Frage? Gibt es nicht, ich freue mich über das, was Du dazu sagen magst, was auch immer das ist. Beiträge bis Freitag 19.00 Uhr bitte an susann.finsterbusch@phonus-verlag.de oder per Whatsapp an 0178 6366321.

Ich bin gespannt =)!

Lebenszeichen

September 25th – Leipzig

Gestern abend hatte ich das große und bewegende Vergnügen, nach gefühlten unendlichen Ewigkeiten ein Konzert zu besuchen. Unter dem Titel „Lebenszeichen“ gestalteten sechs a capella-Gruppen einen herz-wärmenden Abend, der unterstrichen wurde von zwei Lebenszeichen aus Theater und Lyrik – nachzuhören beim MDR.

Das Corona und „die Krise“ Auswirkungen auf uns alle hat, ist schnell gesagt. Ein wenig lapidar vielleicht und schlichthin, doch sich von „Seele zu Seele“ zu begegnen, wie es Wolfram Lattke in der Schlussmoderation beschrieb, ist für mich essentiell und lebendiges Gefühl, ist Bildung und Gegenstück, ist Nachdenken und Anstoßen, ist Weinen und Lachen und Fallen lassen, ist Fühlen und Abtauchen und Konfrontation, ist Schreien und Schweigen und Brechen und Anfangen… Darum braucht es Kunst in jeder Form. Herzen und Seelen bewegen, in einem Moment, in einem besonderen Moment, wie in einem Moment gleich dem gestrigen. Und darum gilt es zu musizieren, zu schreiben, zu singen und zu tanzen, zu klatschen und zu fühlen, darum „spielen wir und schreiben wir“…

Als Sophie Lutz gestern den Text von Thomas Brasch „Warum spielen“ vortrug, kam mir dieser Gedanke. Ich las ihn heute wieder und wieder und komme immer mehr dazu, das „spielen“ mit „schreiben“ zu ergänzen. „Warum spielen – warum schreiben“:

Warum spielen (Thomas Brasch)

Um diese Frage überflüssig zu machen/um eine Gegenwelt herzustellen/um die Träume von Angst und Hoffnung vorzuführen einer Gesellschaft, die traumlos an ihrem Untergang arbeitet/ um die Toten nicht in Ruhe zu lassen/ um die Lebendigen nicht in Ruhe zu lassen/ um Wurzeln zu schlagen/um Wurzeln auszureißen/um Geld zu verdienen/um ein Lebenszeichen zu geben/um einen Tod anzuzeigen/um eine Erfindung zu machen/um nicht arbeiten gehen zu müssen/um Arbeit zu haben/um den tiefen Schlaf einer erschöpften Gesellschaft mit Fratzen zu erschrecken/um nicht einzuschlafen/um nicht aufzuwachen/um das Vergessene zu töten/um nicht allein zu sein/um eine Zeremonie aufzuführen in einer Zeit ohne Zeremonien/um keine Verantwortung zu haben/um auszulöschen, was ICH genannt wird/um zusehen zu können/um den Pathos solcher Antworten zu entgehen/um die Rollen zu wechseln/um Lügen zu verbreiten/um vom Blick einer erfüllten Liebe gestreift zu werden und vom Blick der Wut/um den Kapitän wieder einmal endgültig am den Mast zu nageln/um einer Frau unter einem Vorwand und ohne Folgen an die Wäsche greifen zu können/um herauszufinden, wer das Kind erschossen hat, das schrie: Der Kaiser ist nackt/um zu schreien: der Kaiser ist ja nackt/um nicht reden zu müssen/um nicht schweigen zu dürfen/um die Regeln der Schwerkraft außer Kraft zu setzen/um aus der Welt ein Theater zu machen aus Stein, Holz, und Gittern/um drinnen und draußen zu sein zu gleicher Zeit/um einen Umweg zu finden/um Täter und Opfer zu sein zu gleicher Zeit/um Mann und Frau zu sein zu gleicher Zeit/um in diesem endlosen Vorkrieg nicht zu ersticken/um über einen Sterbenden lachen zu können/um die Geister zu bannen, vor den Türen und unter dem Tisch: Hilfe, ich lebe/um diese krachende Stille nicht aushalten zu müssen/um herauszufinden, wie lange einer ausgehalten wird von Leuten, die sich genauso wenig für ihn interessieren wie für sich selbst/um nicht angestellt zu sein/um vergessen zu werden/um die Frage überflüssig zu machen: Warum spielen/um zu spielen/

Lebkuchen aus dunkler Schokolade

September 24th – Leipzig

Heute in drei Monaten ist Weihnachtsabend. Diese Info überrascht dich? Wirklich? Als ich die letzten Wochen durch die Supermärkte stiefelte, fühlte es sich schlichtweg so an, als wäre Weihnachten nächste Woche. Normale Schokolade sucht man mittlerweile vergebens zwischen all den Pfeffernüssen und Lebkuchen, Dominosteinen und Spekulatius… Der Oberclou vergangenen Montag: bei Edeka in Leipzig wird schon damit geworben, dass die ausgelegten Waren die „letzten ihrer Art“ seien – deswegen: Supersonderangebot. Als ich das las war ich kurz jahreszeitenverwirrt und termpaturenübel. Draußen fröhliche 32 Grad Celcius, drinnen Weihnachtswunderland. (Ja, und ich dachte auch kurz daran, dass es so in Neuseeland sein muss, Weihnachten zu feiern – Sommer im Dezember). Auf jeden Fall habe ich mich gefragt, auf welchen Balkonen in im Leipziger Spätsommer die Dominosteine auf dem Cafétisch schmelzen und wer sein Eis gegebenfalls mit Lebkuchenkrümeln veredelt. Ich darf euch verraten: ich bin es nicht. Weil mein erzgebirgisches Weihnachtsherz schreien würde, hätte ich vor Dezember Pfefferkuchen in meiner Einkaufstasche, werde ich wohl wieder einmal zu denjenigen gehören, die im Supermarkt mit großen Augen angeglotzt werden, wenn ich im Dezember zwischen all den Ostersachen stehe und nach Lebkuchen aus dunkler Schokolade frage =).

Bei allem Aufräumen der letzten Tage ist mir auch ein Text zum Advent in die Hände gefallen; passt doch, oder? Mit einem Augenzwinkern sende ich euch sonnigste Grüße aus dem 25 Grad herrlichen Leipziger Herbst und verabschiede mich für heute mit „Adventus Domini“ aus dem Jahr 2013:

Adventus Domini

Befiehl dem Herrn

Schenke herzlich

eilige Freude

tröstende Worte

hässliche Krawatten

Geschmack und Humor

Begegne ruhig

dem schönsten Fest der Jahresneige

dem milden Stern von Mercedes

den tiefen Augen des Kindes

dem dunklen Wort im Spiegel

Hauche Luft

aber hauche sie nicht aus

Stehe!

Anbetend

staunend

ohnmächtig

hingerissen

taumelnd

jubelnd

kindlich

stückweise

Fall auf die Knie!

Von Angesicht zu Angesicht

Stückwerk bist und bleibst du hier

ewige Erkenntnis

Unendliche Vollkommenheit

Mensch, werde Mensch in der Menschwerdung des Menschen und

Erscheine!

Sei anwesend!

Bist du doch eine Woche in der Schwebe zwischen Ewigkeit und Ankunft

Hängst in der Luft

zwischen Sein und Fleisch

wirst selbst zum Ochs oder Esel

um final zu hoffen, dass dein Herz eine Krippe wird für diese Aus-Geburt Gottes

„Du wartest hier wie ein Rind“ zwischen Esel und Ochs

stößt dir die Hörner ab

und kaust zufrieden vor dich hingerissen

dummdusselig ein wenig, doch leichtweg ewig

du hast Zeit zum Atmen im Schmerz des Wartens

um niederzuknien, betreten zu Boden zu schauen, dich abzuwenden und hinzuwenden, dich umzuwickeln und umzudrehen, dich rundherum einzumummeln und niederzulegen

Dich lacht dieses Kind an, einem Stern ähnlich, und die Weisen lachen dich aus, weil du es nicht erwarten kannst und am Ende lachen alle mit dir, weil sie froh sind, dass du es auch geschafft hast, Mensch Meier!

Erkenne, wie du erkannt bist

jetzt erst stückweise, dann vollkommen

„Freie Gedankenfetzen“

Seit gestern räume ich meine alten Kisten auf. Erinnerungen haben sich darin angesammelt, Fotos, selbstgeschriebene handschriftliche Texte, Zeitungsartikel und kleine Gegenstände, Muscheln und Sand, so mancher eigenwilliger Stein. Besonders an den Texten bin ich dieses Mal hängen geblieben, bin über so manchen gestolpert und sitze nun auf meinem Hosenboden und lese. Es ist eigensinnig, denn ich lese meinen eigenen Worte, habe das Gefühl, neben der „früheren“ Susann zu sitzen, lausche ihr, nicke so manches mal, schüttele manches mal grinsend den Kopf, ertappe mich auch wie ich denke „ach, wie jung!“

Einen Text mag ich heute mit euch teilen. Er ist aus dem Jahr 1999, blutjunge 16 Jahre war ich damals und habe mir Gedanken über die Freiheit gemacht. Weswegen ich über ihn gestolpert bin, war eine Wort: „Neuseeland“. 21 Jahre später war ich da. …

Freie Textfetzen (1999)

Kennt ihr dieses Gefühl?

Die Sehnsucht zieht in und an euch. Zieht euch weg, von dem, was ihr habt. Die Sehnsucht zieht euch hinaus. In die Ferne. In die Weite. Weg. Weit weg.

In die Unendlichkeit. In die Freiheit. In die unendliche Freiheit.

Dieses Verlangen spüre ich oft in mir. Ich glaube, das liegt daran, dass ich mich oft gefangen fühle. Trotz organisatorischer Freiheit. Innerlich gefangen. In mir selbst. Gehalten durch andere. Gefangen in allem. Durch euch. Seltsam.

Wohin es mich zieht, fragt ihr?

Hinaus in die Welt, die ich nicht kenne. Die mich nicht kennt.

In die Weite. Nach Neuseeland.

Unbezwingbarkeit. Schönheit. Unbezwingbare Schönheit.

Unfassbarkeit. Extreme. Unfassbare Extreme.

Unendlichkeit. Freiheit. Unendliche Freiheit.

In mir ist die Frage, wie lang ich mich dort frei fühlen würde. Sicher nicht für immer. Weilt man in der Fremde, so zieht es doch nach Hause, sagt man. Gewohnheit. Umgebung. Vertrautheit. „Meine Welt.“ Eigenes. Bekanntes.

Warum? Ich weiß es nicht. Menschen sehnen sich eben nach Gewohntem. Vertrautem. In dem sie leben, existieren, Dasein haben. Einen Namen haben. Regieren. Bestimmen. Herrschen.

Manchmal geht es mir auch so, dass ich mich da sicher fühle, wo man mich ernst nimmt. Ich etwas sagen darf. Ohne Abzüge zu machen. Ohne Kompromisse einzugehen. Manchmal. Kennt ihr das?

Mir ist bewusst, wie viele Freiheiten ich in diesem Land genieße. In meiner Heimat. Existenziell. Ich habe die Freiheit, zu reden, was mir in den Sinn kommt. Ich darf eine Meinung haben. Meinungsfreiheit. Doch garantiert diese Tatsache nicht, gehört zu werden. Eigentlich schade. Toleranz ist nicht erwartet. Nur ein offenes Ohr. Keine offene Tür. Kein Umbruch.

Ich habe die Freiheit, meine Persönlichkeit frei zu entfalten. In Toleranz und Respekt gegenüber den anderen. Ich darf Ideen haben. Meine Gedanken äußern. Meine Träume und Wünsche. Ich darf ich selbst sein. Ich habe die Freiheit, meinen Glauben zu leben. So zu leben, wie ich es verantworten kann. Vor mir. Meinem Gewissen. Vor einem Gott. Denn spätestens dort muss sich jeder selbst verantworten, heißt es.

Diese Freiheiten garantieren mir aber kein freies Leben. Denn so schön diese Grundsätze auch sein mögen, so sehr sind sie durch euch eingeengt worden. „Interpretiert“. Ihr habt Dinge geschaffen, die mir die Freiheit nehmen. Ich weiß, dass ich es probieren könnte, „eigenwillig“ zu leben. Doch ich weiß auch, dass ihr es nicht dulden würdet. Würdet mich ausgrenzen. Diskriminieren. Ausstoßen. Ausschließen aus eurem Leben. Ich stünde allein. Das wisst ihr auch. Und es gibt euch Sicherheit. Macht euch souverän. Gebieterisch. Scheint, als würdet ihr immer sein. Für ewig. Ihr existiert in jeder Zeit.

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