October 20th Leipzig

Ich melde mich zurück. Die aufmerksamen Nachrichtenleser unter euch haben bestimmt schon sehnlichst auf meinen „Senf“ gewartet, den ich zur zurückliegenden Wahl in Neuseeland dazugeben würde. Ich habe einige Zeit keine richtigen Worte gefunden, weil ich im Zwiespalt bin zwischen deutscher Berichterstattung, neuseeländischen Internetseiten und den Rückmeldungen, die ich von Freunden aus Neuseeland bekomme. So gefeiert, wie Frau Ardern zuletzt am Wochenende bspw. von der Tagesschau dargestellt wurde, ist sie in ihrem eigenen Land nicht in Hülle und Fülle. Freilih sind die Neuseeländer froh und dankbar, wie stringent die Politik sie die letzten Monate durch die „Coronakrise“ geführt hat. Und ich kann auch getrost bei meinem Standpunkt bleiben, den ich im Mai formulierte: Jacinda Ardern hat gute bzw. bestmögliche Politik für ihr Land gemacht – betrachtet man die Gegebenheiten vor Ort. Das, was vielen Bürgern der Insel – und auch mir in meinem kleinen Eindruck von außen – fehlt, ist eine Perspektive. Und so wird sie von den Neuseeländern weniger gefeiert, als berichtet…

Zu Beginn diesen Monats wurde die Grenzschließung zumindest formal gelockert: es ist jetzt Verheirateten und Paaren mit minimum 2 Jahren Beziehung und Familienangehörigen möglich, sich „einfacher“ auf ein Visum zu bewerben. Es ist auch formal leichter, zwischen Neuseeland und Australien zu reisen. Doch Papier ist geduldig und alle scheinbar geleicherte Einreise hängt vor allem vom Wohlwollen der Bearbeiter ab. Möchte jemand vo Auckland aus seine Familie in Australien besuchen, muss er bei Ausreise aus Neuseeland schon den „Quarantäneschein“ für die Rückreise nachweisen – das kostet. Nicht nur den Schein zu bekommen, sondern leider in den meisten Fällen auch die 14tägige Quarantäne in einem von der Regierung festgelegten Hotel. Und ob betreffende Personen dann überhaupt ins Flugzeug einsteigen können, ist bis Abflug auch nicht sicher…

Ein weiterer Punkt: immer wieder höre ich von Bekannten aus NZ und lese es auch in den jeweiligen Facebook-Gruppen, dass händeringend Arbeiter vor allem in der Landwirtschaft gesucht werden. Wo ehemals viele Betriebe auf Work-and-Travel-Leute zurückgreifen konnten, gibt es mittlerweile niemanden mehr im Land. Händeringend wird gesucht. Wann wieder eingereist werden kann, um zu reisen und zu arbeiten, steht in den Sternen.

Seit Beginn des Lockdowns vor 7 Monaten liegt der Tourismus in Neuseeland weitgehnd brach. Zwar dürfen Einheimische im Land wieder ungehindert reisen, doch die Grenzen bleiben für den internationalen Tourismus dicht. Noch vor Corona waren jährlich ca. 4 Millionen Menschen ins Land eingereist, um Urlaub zu machen und ließen dabei durchschnittlich pro Kopf 4000 NZD im Land. Allein in der Reiseindustrie arbeiten mindestens 200 000 Neuseeländer. Jetzt könnte man ganz spitz sagen: „Die könnten doch einfach in die Landwirtschaft wechseln!“ Und tatsächlich gibt es Projekte, Arbeiter umzuschulen und ihnen eine neue Arbeitsperspektive zu geben. Auch überlegt man kühn, die 5-Tage-Woche auf 4 Tage bei gleichem Gehalt zu kürzen. So könnten die Neuseeländer selbst mehr reisen, müssten aber gleiche Arbeit in weniger Zeit schaffen. …Vermutlich verlagert sich dann das Problem hinsichtlich mehr Ausfällen wegen Überarbeitung. Und ob die Neuseeländer selbst einen erwarteten Rückgang des Bruttoinlandsprodukts von 10% abfedern könnten, bleibt wahrscheinlich Wunschgedanke.

Bleibt zu hoffen, dass die Regierung bald eine Idee liefert für dieses wunderschöne Land, in das auch ich gern wieder reisen würde.