…das Gute am Verschwinden hindern…

Das neue Jahr ist ein paar Atemzüge alt und der erste Abend klopft leise ans Fenster. Die Sonne verkrümelt sich hinter violett-pink-blauen Wolken, ein paar Verwirrte böllern auf der Straße fast wie zum Silvesterabend. Vielleicht haben sie einfach so viel Knallerwahnsinn übrig, dass er noch ein paar Tage reicht – wundern täte mich das in diesem Kleinstädtchen nicht.

Als ich heute morgen mit meiner Thermoskanne, einer Dose Äpfel und Nüsse und meinem Hörbuch gerüstet meine Neujahrswanderung begann, stockte mir spätestens auf dem Aldi-Parkplatz um die Ecke der Atem: sooooo viel Müll, leere Raketenbatterien so weit das Auge reichte, gespickt mit Raketenstöcken, leeren Fröschen und ausgebrannten Knülpfen, die nicht mehr zu identifizieren gingen. Ein Gedanke schlüpfte mir durch den Kopf: Wer nachts böllert, sollte auch morgens aufräumen 🙂 Das wäre was! Ein Lächeln zauberte mir das Gedanke ins Gesicht als ich in die Schachtstraße einbog und vor mir ein kleiner Junge mit einem riesigen Besen stand. Ich wünschte ihm ein gutes neues Jahr, er grinste zurück und kehrte fleißig weiter den von alten Böllern übersäten Gehweg. „Geht doch“, dachte ich verschmitzt und stiefelte weiter.

Mein Altjahresabend – ja, ich mag dieses Wort – war leise. Nachdem ich ein wenig geschrieben und aufgeräumt hatte, rang ich mit mir, ob ich zur Andacht der Kirchgemeinde gehen sollte. Einerseits hatte ich Sehnsucht nach einem „besinnlichen Ausklang“: also gehen. Andererseits wollte ich mich nicht mit einem Ärger aus dem Jahr verabschieden, den mir manches Mal Andachten oder Gottesdienste bereiten: also nicht hingehen. Den Tag über war ich schon allein daheim, vielleicht könnte ich so noch ein wenig Gemeinschaft erleben: also gehen. Doch so richtig Lust, mich dann durch die Böllerei nach Hause „durchzuschlagen“, hatte ich auch nicht: also nicht gehen. Meine Sehnsucht nach Ausklang gewann letztlich und ich schlang mir den dicken Mantel um und ging zur Kirche. Fünf Minuten vor Beginn der Andacht stand ich vor verschlossener Tür – gibt’s doch nicht: da raffe ich mich auf und dann das. Neben mir ein älterer Herr, der auch die Türklinke drücken wollte; dann wir beide rätselnd vor dem Schaukasten. Nein, wir waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Wir kamen ein wenig ins Gespräch: er kam aus Grünau, sei allein daheim, wollte ein wenig Gemeinschaft zum letzten Abend des Jahres. Ich schmunzle, finde mich so wieder in seinen Gedanken und in diesem Moment spricht uns ein Paar an und lotst uns zum Gemeindehaus, denn dort sei die Andacht. Erleichtert rutschen wir beide in die letzte Reihe des hell erleuchteten und dicht besetzten Gemeinderaumes.

Warm ist es und als ich den Mantel ablege, ärgere ich mich, dass ich mir nichts besseres angezogen hatte. In der kalten Kirche wäre meine Jogginghose mit Sweatshirt wahrscheinlich niemandem aufgefallen – hier steche ich unter den chic gekleideten Menschen hervor 🙂 Naja, was solls, bin halt hier, wie ich bin, denke ich noch, als das erste Lied beginnt.

Es sind warme Minuten, in denen wir altbekannte Lieder singen, ein Psalm und eine Lesung aus dem Alten Testament hören, die ich innerlich fast mitsprechen kann. Ich denke an meine Omi, die das auch locker geschafft hätte und beim Gebet immer ein klein wenig „vornweg“ war. Ich hab sie immer hören können, egal wo sie in der Affalterer Kirche saß. Ich denke an das, was in diesem Jahr war, an das Gelungene und das Verlorene, an das Gefundene und das Verdorrte, an die schönen, fröhlichen, glücklichen Momente mit meinen Lieben, denke an das, was bleiben soll wie es ist, an das was wachsen darf und an das, was das alte Jahr behalten kann. Meine Gedanken schweifen ab, mein Blick wandert über die Menschen um mich, das gebastelte Kreuz in der Ecke, den Weihnachtsstern ganz dicht über meinem Kopf.

Das „Jahresmotto“ 2025 ist mir schon bekannt: „Prüft alles, und behaltet das Gute.“ Mit pädagogischen Fachkräften habe ich diesen Vers schon bedacht, versucht zu erfassen und für einen Gottesdienst im Januar begreifbar zu machen. Auch die letzten Tage haben mich in den Reflexionsfragen der Rauhnächte immer wieder an Punkte des Über-Prüfens gebracht: Was tut mir gut? Was macht mich glücklich? Was tut mir nicht gut und wovon sollte ich mich verabschieden? Woran erkenne ich beides? Und wie geht eigentlich Loslassen? … Vieles habe ich auf den Prüfstand gestellt, auch im hinter mir liegenden Jahr. Nicht zuletzt die Reise nach Neuseeland war ein inneres Überprüfen, Aufräumen, Loslassen und der Versuch, das Gute zu halten. In der Andacht wird der Satz nochmal anders gesagt: „Prüft alles auf Tauglichkeit, und hindert das Gute am Verschwinden.“ Ich stutze inmitten der Worte des Pfarrers. …hindert das Gute am Verschwinden. Wie schön das klingt und wie nah das bei jedem landen kann. Nicht nur bei den Menschen dieser Andacht, nicht nur bei den Mitgliedern der evangelischen Kirche. Das Gute am Verschwinden zu hindern, dazu gehört für mich Mut und Kraft. Mut, für das Gute einzustehen auch in Zeiten der Unsicherheiten und Sorgen, der Angst und Not. Mut, das Gute zu halten, zu behalten, auch hoch-zu-halten. Geduld in Zeiten, die schnell sind und laut und in denen so manches verschwindet. Was taugt dann? Was trägt mich? Was schenkt mir Halt? Wer soll an meiner Seite sein? Wen trage ich? Wer schenkt mir Halt und wem ich?

Auf der Neujahrswanderung hatte ich diese Fragen auch in der Tasche; wie Wegbegleiter und Zeichensetzer auf meiner Runde.

Und vielleicht kann das ein roter Faden 2025 sein: „das Gute am Verschwinden zu hindern“?

Was denkst du?

Favorite character

Die Vorweihnachtszeit ist für mich auch eine Zeit des Wintersports- und Filmgenusses. Neben den geliebten Biathlonrennen laufen auf meinem Fernseher endlos schöne Wiederholungen, die mich nie müde machen, die ich in Großteilen mitsprechen kann, in denen ich immer noch mitfiebere und die mich ein Stück weit „umarmen“. Für mich am liebsten neben den beiden Trilogien „Herr der Ringe“ und „Der Hobbit“: „Mister Magoriums Wunderladen“, „Harry Potter“ (freilich alle Teile) und „Die Tribute von Panem“. Manchmal lunzen die alten Star Wars-Filme durch, schwarz-weiße Filmklassiker von Agatha Christie oder auch die berühmten drei Haselnüsse. Doch am liebsten tauche ich noch immer in Mittelerde ab 🙂

In diesen geliebten Filmen habe ich immer auch wieder einen „Lieblingscharakter“. Eine Figur, die mich in ihren Bann zieht. Das kann an der Geschichte liegen oder einfach, dass der Schauspieler in meinen Augen die Rolle so gut ausfüllt. Bei „Harry Potter“ ist das beispielsweise Severus Snape für mich. Und in den „Tributen“ Peeta Mellark.

Vor vielen Jahren war die Vorweihnachtszeit für mich auch immer Probenzeit für Krippenspiele. Schon als kleine Knirpsin durfte ich entweder im Engelreigen mitlaufen oder mit meinen Blockflötenkünsten als Hirtenkind überzeugen. Später dann meist Verkündigungsengel, einmal auch Elisabeth, doch meistens „und siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird“.

Ich erinnere mich, dass ich als Jugendliche und junge Erwachsene EINE Rolle nicht haben wollte: Hirtin. Ich wollte nicht „bei den Hürden“ hocken, die Schafe weiden, mir den Hintern in der Nacht abfrieren und dann von den Engeln überrumpelt werden. In den meisten Krippenspielen waren das ziemlich trostlose, triste, ermattete Hirten-Rollen, die erst lange Mono- oder Dialoge über die Ungerechtigkeiten der Welt hielten, dann erleuchtet wurden und zum Stall loswackelten. Da gab es auch super selten Zweifler. Die meisten Hirtenrollen waren sauschnell überzeugt von den Engeln und rannten los zum Stall. Mit allem bepackt, was sie verschenken konnten. Alle Tristesse und Trostlosigkeit schien vergessen oder verdrängt. Die meisten sagten dann auch an der Krippe nix mehr, knieten nieder. Vorhang fiel.

Erst Jahre später, als ich schon nicht mehr in Krippenspielen mitspielte oder sie anleitete, tauchten die Hirten wieder in meinem Weihnachtsbild auf. Und dieses Mal blieben sie.

Ich kann nicht sagen, wann sich das konkret veränderte, doch sie wurden mir die Nahbarsten aller Figuren der Weihnachtsgeschichte. Meine „Lieblingsfiguren“. Wie sie da hocken, zappenduster ist es um sie und in ihnen, voller Schiss, dass eines der Schafe verloren geht, die ihnen nicht mal selbst gehören. Ein Knochenjob, auf den wolligen Besitz anderer aufzupassen. Glück, wenn es eine trockene Nacht blieb und das Feuer hielt und sich kein Fies-Troll anschlich, um zu stehlen oder ein Schaf zu reißen.

Für mich müssen sie heute keine Mono- oder Dialoge mehr halten. Ich fühle ihre Sehnsucht nach Gerechtigkeit, nach fairem, bezahlbaren Leben, nach Wärme. Ich fühle ihre Unsicherheit und Angst. Ich fühle ihr Sehnen nach mehr, nach Licht, nach Ankommen und Sein-dürfen. Es fällt mir leicht, mich neben sie zu hocken und in das Feuer zu glotzen und die Gedanken mit ihnen kreisen zu lassen… und kein Ende in Sicht.

Und dann dieser Engel. Oder auch mehrere. Völlig egal. Da taucht Licht am Ende des Tunnels auf. Da gibt es die Zusage „Ihr müsst euch nicht mehr fürchten“. Da gibt es das himmlische Versprechen auf Ankommen und Sein-dürfen. Da eröffnet sich eine neue Perspektive in dieser bitterkalten Tristesse.

Und da fühle ich auf einmal auch Verständnis für das Loswackeln der Hirten und ich staune über ihren Mut.

Manchmal frage ich mich: wäre ich losgewackelt mit allem, was ich zu verschenken habe? Hätte ich das gewagt? Wäre ich das Risiko eingegangen? Hätte ich die „sichere Bank des Schafehütens“ verlassen? Wäre ich aus dem Dreck, den ich kenne, aufgestanden? Immerhin hätte ich doch gewusst, woran ich bin, wenn ich bei den Schafen hocken bleibe. Freilich wäre es nicht schön gewesen, zu bleiben, aber doch gewohnt. Da weiß ich, was ich hab.

Und dann auf der anderen Seite dieser Mut. Die Tristesse hinter sich zu lassen, aus dem bitterkalten Dunkel aufzustehen, alles zu packen und loszugehen. Obwohl ich überhaupt nicht weiß, wie das sein wird. Und auch den Weg nicht so richtig kenne, erst recht nicht das Ziel. Ob das stimmt, was versprochen wurde. Ob ich wirklich ankommen darf und sein… Und dann die Zweifel auf dem Weg: hab ich mich nicht getäuscht? War da wirklich dieses Licht am Ende des Tunnels? Oder war es nur ein Traum, ein Wunsch? Schritt für Schritt weitergehen, zögern, vielleicht stehen bleiben, grübeln, das Risiko bedenken, das erfüllte Herz fühlen. Nächster Schritt.

Und dann ankommen, sein-dürfen, überwältigt sein. Bewegt, dankbar, neu erfüllt. „Fürchtet euch nicht, denn ich habe eine Botschaft, die alle mit großer Freude erfüllen wird“, sagt der Engel zu den Hirten. „Fürchtet euch nicht! Denn siehe ich verkündige euch große Freude, die dem ganzen Volk widerfahren soll.“

Damit löst sich die missliche Lage der Hirten nicht auf, sie müssen trotzdem irgendwann zurück zu der Herde, zum wolligen Besitz der anderen, auf das bitterkalte Feld. In dieser Nacht gab es für sie keinen großen Paukenschlag, der die Weltpolitik verändert und die Ungerechtigkeiten der Gesellschaft weggefegt hätte. Auch wenn das vielleicht in einem Hollywood-Blockbuster so erzählt worden wäre.

Was die meisten Krippenspiele nicht mehr erzählen: nach dem Ankommen im Stall und dem Verweilen im Stroh ging es mit hoher Wahrscheinlichkeit zurück. Doch stelle ich mir die Schritte der Hirten leichter vor, die Herzen erfüllter. Mit einer Hoffnung, die sie vorher nicht hatten und einem Licht in sich – in diesem Zappenduster des Hirtenseins.

Und da hocke ich mich wieder zu ihnen. Glotze mit ihnen wieder ins Feuer. Lasse die Gedanken kreisen und fühle mit den Hirten diese neue, wunderlichte Weihnachts-Hoffnung im Herzen.

Und wenn du magst: da ist ein Platz für dich am Feuer 🙂 !

Change-Management

Während ich den Titel dieses Beitrages tippe, sehe ich direkt das Gesicht meiner Omi vor mir. Wie sie leicht die Nase rümpft und über den „nei-mudschen Rotz“ den Kopf schüttelt. Vielleicht hätte sie auch bedauert, dass die deutsche Sprache immer wieder mit englischen Begriffen „angereichert“, „aufgepimpt“, „neu-modischer“ gemacht wird. Und an der Stelle wäre ich ihr wahrscheinlich zustimmend zur Seite gesprungen.

Mein inneres Bild wechselt von der Küche meiner Omi in die Schule nach Borna. Ich sehe meine Religionsklassen vor mir sitzen, die sich immer wieder mit den dunkelgrünen, „alten“ Luther-Bibeln rumärgern. Nun, das müssen sie auch, weil ich es ganz oft liebe, mit ihnen in diese sprachlichen Herausforderungen einzutauchen. Zu fragen, was diese altbekannten und oft ungewohnten Worte bedeuten könnte. Zu entdecken, welche Tiefe hinter ihnen stecken kann, welche Bilder sie eröffnen. Und wenn wir gar nicht weiterkommen und mich 28 fragende Augenpaare anstarren, dann „zaubere“ ich auch gern die Volx-Bibeln aus dem Schrank. Da herrscht dann erst großes Aufatmen, denn die Sprache scheint leichter zu greifen. Doch sehr oft wird der Text mit seinen Ebenen trotzdem nicht einfacher… doch das ist eine andere Geschichte.

Nochmals wechselt mein Bild zu einem Gespräch mit einer Freundin vor ein paar Tagen. Sie stellt mir unvermittelt eine Frage: „Welche Überschrift würde dein Jahr 2024 haben?“ Binnen Sekundenbruchteilen rasen innere Bilder durch mein Gehirn. Ein unzensierter Jahresrückblick… und dann bleibe ich hängen… Veränderungen in diesem Jahr. Es fühlt sich an als hätte sich alles und nichts verändert.

Menschen haben sich verabschiedet, andere habe ich bewusst ziehen lassen, neue sind aufgetaucht. Manche Dinge habe ich verloren, anderes bewusst verabschiedet, vieles ungeplant (wieder-)gefunden, anderes neu gekauft. Das Studium begann, eine Sportgruppe tauchte auf, zum Jahresende verabschiede ich mich aus dem Verlag.

Ich sehe mich im Renovierungschaos meiner Wohnung, im Kabarett, im Garten, im Büro, in Beratungssituationen, im Therapiesessel, im Wartezimmer der Augenärztin, im Camper auf der neuseeländischen Südinsel, im Flieger, im Auto, auf dem Rad, im und am See, im Wald, im Schnee. Sehe mich weinend, lachend, verzweifelt, taub, laut, leise, frei, entspannt. Sehe mich mit nackten Füßen und Sand in den Schuh’n, in nächtlichem Frost und lähmender Sommerhitze… und sehe durch die Frage nach der „Jahresüberschrift“ auch in jedem dieser Bilder „Veränderung“.

Und freilich werden so manche jetzt nickend und weise denken: so ist das Leben, anhaltende Veränderung. An der Stelle stimme ich auch zu und doch sind manche Jahre im Rückblick für mich stabiler als andere. Dieses Jahr war für mich sehr oft eine wirbelnde Veränderung und die Herausforderung, damit gelungen umzugehen. Gut aus den Veränderungen zu gehen, die ich hinnehmen musste. Den Kopf oben zu halten, zu fallen, aufzustehen und weiterzugehen. Und manch englisch angehauchter Mensch spräche dabei vielleicht von „Change-Management“. In meinem Kontext: die Kunst, mit Veränderungen umzugehen. Und das durfte und konnte ich in diesem Jahr üben.

Dazu gehört für mich auch, manches bewusst in meinem Leben „willkommen zu heißen“ und manches bewusst zu verabschieden. Zu Letzterem eben auch meine Entscheidung, nach mehr als 12 Jahren den Verlag „Phonus“ zu verlassen. Ich gehe mit innerem Frieden, mit großem Stolz auf all das, was wir gemeinsam in diesen Jahren geschafft haben, mit tiefer Dankbarkeit für alle Freundschaft unter uns, für alles Vertrauen, für manchen Zoff, für all das was ich lernen konnte. Tiefe Dankbarkeit für Begegnungen, Veranstaltungen, für alles gemeinsame Werkeln und Lachen… und auch jetzt – im Moment des Schreibens – blitzen mir tausendundein Bild durch den Kopf… So gehe ich mit einem weinenden Auge aber auch mit einem Lachen im Gesicht. Meine „Kunst“, mit Veränderungen umzugehen 🙂

Besonders stolz bin ich an dieser Stelle auf mein Buch. Manches Mal, wenn ich es in Händen halte, kann ich kaum glauben, dass ich das geschrieben habe 🙂 Wer es von euch noch nicht hat oder mal stöbern will, welch herrliche Sachen wir im Verlag noch gemacht haben, dem sei dieser Link ans Herz gelegt:

https://www.phonus-verlag.de/

Und wer direkt einen Bestellwunsch hat, der am besten noch vor Weihnachten da sein soll, kann mir gern über die Kommentarfunktion dieser Seite schreiben.

Ich wünsche dir einen adventlich-lichterfrohen Abend! Und ach, eh ich es vergesse: „Wie lautet deine Jahresüberschrift 2024?“

Eine Geschichte für dich

Wie jedes Jahr sollte auch in diesem Jahr die sechste Klasse des weihnachtliche Krippenspiel aufführen. Lehrer Larssen begann schon Mitte November mit den Vorbereitungen und Besetzungen der verschiedenen Rollen. Thomas sollte den Josef spielen und Tina die Maria. Die Rolle des Wirtes der Herberge wollte niemand spielen. Da hatte Thomas den rettenden Einfall: sein kleiner Bruder Tim könnte die Rolle übernehmen. Tim wollte auch gern den Wirt spielen. Er müsse nur lernen, im richtigen Augenblick zu sagen, dass in der Herberge kein Zimmer frei sei. So bekam Tim eine Schürze und eine blaue Mütze und die Proben konnten beginnen.

Am Tag der Krippenspielaufführung war in der Schule Hektik und Festtagsstimmung. Die Vorstellung begann: Josef und Maria betraten die Bühne, schleppten sich zur Herberge und klopften. Die Fensterläden gingen auf und Tim schaute unter seiner großen blauen Wirtsmütze heraus. „Habt ihr ein Zimmer frei?“, fragte Josef mit müder Stimme.

„Ja, gerne“, sagte Tim freundlich.

Schweigen im Saal. Und auf der Bühne. Josef und Maria blickten hilflos.

„Ich glaube, sie lügen“, meinte Josef. Aber die Antwort aus der Herberge war: „Nein!“

Hinter der Bühne herrschte große Aufregung. Die anderen Schauspieler waren richtig sauer, aber Tim erklärte dem Lehrer, dass Josef eine so traurige Stimme gehabt habe, da hätte er doch nicht einfach „nein“ sagen können. Zuhause hätten sie auch immer Platz, notfalls auf der Luftmatratze. Herr Larssen versuchte Tim zu erklären, dass die Geschichte genauso gespielt werden müsse, wie sie aufgeschrieben sei und Tim versprach, bei der nächsten Aufführung ein richtig böser Wirt zu sein.

Die zweite Aufführung fand im Gemeindehaus statt. Und alle waren noch aufgeregter. Der Saal war bis auf den letzten Platz besetzt. Das heilige Paar erschien auf der Bühne und wanderte zögerlich auf die Herberge zu. Josef klopfte an die Läden. Alles blieb still. Josef klopfte erneut, Maria fing an zu schluchzen. Schließlich rief Josef laut: „Hier ist wohl kein Zimmer mehr frei?“

In die Stille, in der man eine Nadel hätte fallen hören können, ertönte ein ganz leises: „Doch!“

Für die dritte und letzte Aufführung wurde Tim seiner Rolle als böser Wirt enthoben. Er bekam Flügel und wurde zu den Engeln versetzt. Dort war sein „Hallelujah“ unüberhörbar und es bestand kein Zweifel mehr daran, dass er nun auf dem richtigen Platz war.

(„Der Andere Advent“, Verlag „Andere Zeiten“)

Post für…

Heute gibt’s für dich erst eine Geschichte und dann eine Überraschung…

„Post für mich?“, fragt er durch die Luke. Nur wer ihn besser kennt, sieht die Anspannung in seinem Gesicht, die zusammengekniffenen Augen, das leichte Zittern der Lippen. Sein weißes Haar ist noch ungekämmt. Er geht immer nach dem Aufstehen gleich fragen. Aus dem abgetragenen Bademantel mit den verblichenen blauen Streifen schauen dünne Beine heraus, die Haut wie Pergament.

„Warten Sie“, ruft Susanne. „Ich schaue gleich nach, Herr Ullrich!“ Sie geht zu den Postfächern und schaut. „Heute nicht, Herr Ullrich.“ Würdest du danebenstehen und dieses „Heute nicht“ hören, du dächtest sofort, Herr Ullrich bekommt sonst jeden Tag Post. Aber dem ist nicht so. Herr Ullrich bekommt nie Post. Seit vierzehn Jahren wohnt er hier im Pflegeheim und seitdem hatte er noch keine Post.

Aber jeden Tag geht er zur Luke und fragt. Und dafür, wie Susanne das „Heute“ von „Heute nicht“ ausspricht, dafür hat er sie so gern. (von Doris Bewernitz in „Der Andere Advent“)

Und jetzt die kleine Überraschung für dich. Ich weiß nicht, ob es dir auch so geht: ich liebe es, Post zu bekommen. Dabei rede ich nicht von Rechnungen, Mahnungen, unpersönlicher Werbesendungen. Nein, ich denke an Urlaubspostkarten, Geburtstagsgrüße und selbstgeschriebene Briefe. Immer, wenn ich davon etwas aus meinem Briefkasten fische, springt mein Herz doppelt vor Freude. Da hat sich jemand die Mühe gemacht und die Zeit genommen und ganz old school einen Stift zur Hand genommen, eine Karte für mich ausgesucht oder Papier. Gedacht, geschrieben, eingetütet und abgeschickt. Ich liebs 🙂 .

Und diese Freude möchte ich im Advent ein wenig verschicken. Und so kannst du mich unterstützen: du kennst jemanden, der lange keine Post bekommen hat und unbedingt mal wieder Freude am Briefkasten haben sollte? Oder du selbst wünschst dir, mal wieder Handgeschrieben Post aus dem Briefkasten zu fischen? Dann schreib mir – entweder bei Whatsapp, wenn du meine Nummer hast, oder eine Mail an info@susann-finsterbusch.de. Den ersten 15 Menschen, deren Adresse ich bekomme, sende ich im Advent Post. Eine Bitte: jeder nur eine Adresse – entweder deine eigene oder die von jemandem, den du glücklich machen möchtest 😉

Vielleicht inspiriere ich dich ja, auch selbst mal wieder schöne Post zu verschicken? Dann wünsche ich dir viel Freude dabei! Liebste Grüße und einen fröhlichen ersten Advent wünsche ich dir!

PS: nach der kleinen Aktion lösche ich selbstverständlich die Adressen.

Vorfreude

In den kommenden Wochen mag ich ab und an eine meiner liebsten Geschichten und Texte mit dir teilen. Heute gibts von Till Raether „Das Verschwinden der Vorfreude“:

Wie läuft das eigentlich: Kippen wir einander am Weihnachtsmorgen 24 Schokoladentäfelchen auf den Tisch und sagen: „Zack, hier, zur Feier des Tages?“ Nein, denn das würde dem Prinzip Weihnachten widersprechen: Alles auf einmal zu wollen ist das Gegenteil von freudiger Erwartung. Lieber jeden Tag ein anderes Stück Schokolade hinter den Türchen des Adventskalenders als alle auf einmal. Weil wir vor Weihnachten etwas tun, was wir so gut wie verlernt haben: Wir zelebrieren Vorfreude.

Früher waren zum Beispiel Schallplatten, Bücher und Filme Quellen der Vorfreude. Wenn Kate Bush eine neue Platte rausbrachte, muss man warten, bis es sie im Plattenladen gab. Der Plattenhändler sagte: Vielleicht am Freitag, spätestens Montag. Wenn sie dann da war, musste man sie nach Hause tragen. Auf dem Weg konnte man sie nicht hören, man konnte sie sich höchstens vorstellen. Zu Hause musste man die Platte aus der Hülle holen, dann aus der Innenhülle, sie dann in einer Hand balancieren, ohne aufs Vinyl zu fassen, den Deckel des Plattenspieler hochklappen und so weiter – alles reine, unverfälschte Vorfreude.

Wir freuen uns nicht mehr auf Fotos, denn wir haben sie ja schon gesehen, hinten auf der Kamera, während sie gemacht wurden. Wir freuen uns nicht mehr auf interessante Neuigkeiten: Niemand muss mehr bis zu den nächsten Nachrichten warten, um die Bundesliga-Ergebnisse zu erfahren. Schleichend verschwindet die Vorfreude auch aus unseren Beziehungen und Freundschaften. Wenn einem früher was Lustiges oder Interessantes passierte, dachte man bei sich: „Hehe, wenn ich das meinen Freunden erzähle!“ Wenn man heute erzählt, dass einem das Auto abgeschleppt wurde mit der Geburtstagstorte auf dem Beifahrersitz, heißt es nur noch: „Ja, stimmt, hast du ja letzte Woche schon auf Facebook gepostet.“

All das ist keine Nostalgie, sondern nüchterne Zwischenbilanz im Kulturkampf zwischen Vorfreude und dem, was Wirtschaftswissenschaftler „instant gratification“ nennen, sofortige Belohnung. Im Moment steht es 1:0 für das Team „instant gratification“. Was dumm ist, denn wir brauchen die Vorfreude. Unser Gehirn ernährt sich gerade zu von ihr. Sie dient ihm dazu, allerhand positive Fähigkeiten auszubilden. Zum Beispiel Zuversicht. Oder: ein realistisches, aber positives Selbstbild. Lebenszufriedenheit.

Wenn man abends im Bett liegt, an den nächsten Tag denkt und feststellt, dass es nichts gibt, worauf man sich freuen kann – dann ist es höchste Zeit, etwas zu verändern. Indem man wieder verbindliche Verabredungen trifft, auf die man sich freuen kann, statt sich bis zum letzten Moment alles offen zu lassen. Indem man Dinge plant, die sich nicht runterladen lassen, analoge Vergnügungen wie Spaziergänge, Kochen, Sport oder einen Museumsbesuch. Indem man wieder lernt, die Termine, die einem bevorstehen, nicht als Stress zu empfinden, sondern als etwas, worauf zu warten sich lohnt. Dann wäre das Leben auch ab Januar wieder hier und da wie die Vorweihnachtszeit für ein Kind.

(aus: Der andere Advent 2019/20)

back to me…

Für mich hat heute die Adventszeit begonnen. Gestern der Ewigkeitssonntag – mancherorts auch Totensonntag – heute dann die beginnende Stille mit dem Warten auf Weihnachten. Gestern noch habe ich über das Dunkel und den Himmel, das Ende und das Licht am Ende des Tunnels nachgedacht. Habe geweint, schmunzelnd erinnernd, sehnend gehofft. Mit dem heutigen Montag findet für mich die Hoffnung des Ewigkeitssonntag mitnichten ein Ende, im Gegenteil: es schließt sich der Kreis. Advent ist Warten auf Weihnachten. Und Warten auf Weihnachten heißt für mich: Warten auf das Licht, warten auf den Hoffnungsschimmer. Meinen Blick in den Himmel richten und dem Stern vertrauen, dass er mich zum guten Ziel führt.

Wenn man den Supermärkten folgt, dann ist seit September Advent: Plätzchen, Spekulatius, gefüllte Spitzen, Stollen, Stollenkuchen, Weihnachtsgebimmel- und Gebammel, Glitzer und Glotzen, kletternde Weihnachtsmänner und Plastikweihnachtsbäume… Da kann man dann drei Monate Vorweihnachtszeit, vier Wochen Glühweinrausch auf dem Weihnachtsmarkt und drei Tage Weihnachten in sich reinschaufeln, bevor das Geböller eine Woche vor Silvester beginnt und spätestens am 6. Januar – denn dann gibt es ja die ersten Tulpen wieder im Laden – ein Ende nimmt.

Versteh mich nicht falsch: ich liebe Plätzchen und Stollen, Räucherduft und Männeln wecken, Schwibbögen und Baum schmücken, Geschenke packen und auch auswickeln. Doch alles zu seiner Zeit. Das ständige „zu früh, zu viel“ ist mir „zuwider“. Ich mag das Leise, Feine, das Zartwinkende am Advent, das „wartende Anschleichen“ auf Weihnachten hin und ja: Stollen gibt es bei mir erst am 25. Dezember 🙂

Wer mich besser kennt, der weiß, dass für mich das Jahresende und der Jahreswechsel die anstrengendste Zeit des ganzen Jahres sind. Bei allem schönen Licht und Gerüchen des Advents und Weihnachten jongliere ich in diesen Tagen am meisten mit meiner Energie. Ich fühle mich schneller ausgelaugt von meinen Gedanken, meinen Erwartungen, meinem inneren Sortieren, den Erwartungen der anderen… diese Wochen fühlen sich für mich zu schnell zu überladen an und ich warte vermehrt nicht auf Weihnachten, sondern auf die „normale Zeit“ im Januar.

Aus diesem Grund habe ich es „geliebt“, in der Gemeinde Advent- und Weihnachten durchzuackern, um mich abzulenken. Später dann auch Weihnachten und Silvester im Ausland zu verbringen – gefühlt weg von allem Anstrengenden. Und im Reisen kam ich mich vor allem „wieder zu mir“ – „back to me“.

Wenn ich allein reise, dann bin ich schneller bei mir, dann kann ich besser auf mich und meinen Energiehaushalt acht geben, dann merke ich leichter meine Bedürfnis, dann wird es einfacher still und ruhig in mir. Und auch wenn ich in diesem Jahr alle Tage in Deutschland bin, wünsche ich mir dieses „back to me“ für den Advent und die anschließende Weihnachtszeit. Ich wünsche mir, den Fokus vorrangig bei mir zu halten, Zeit für und mit mir zu haben neben all den kleinen, feinen Momenten mit meinen Lieben.

Und so nehme ich mir für den Advent etwas vor: ich möchte es, wie bei den Reisen halten. Da gibt es weniger Netz, da bin ich tagsüber kaum oder gar nicht erreichbar, da kann ich mein Handy schneller weglegen und eher die Stille genießen.

Deswegen wundere dich nicht, wenn ich in den kommenden Wochen kaum, verzögert, später schreibe oder zurückrufe. Ich bin auf dem Weg „back to me“, wartend auf das Weihnachtslicht. Detoxing könnte man neudeutsch sagen, voller Vorfreude auf das, was da kommen wird 🙂 Ich richte meinen Blick in den Himmel und vertraue dem Stern, dass er mich gut führen wird.

In diesem Sinne wünsche ich auch dir einen wunderbaren, wunderlichten, stillfeinen Advent!

Bilanzbalance

Es ist Abend und die Straße vor meinem Haus ist schon lange ruhig. Ich sitze an meinem Schreibtisch, eine Tasse „Träum schön-Tee“ dampft wohlig neben mir. Eigentlich wollte ich den Tee nach der heißen Wanne im Bett schlürfen, doch Gedanken trieben mich aus der Wanne direkt an den großen alten Holzschreibtisch in meinem Wohnzimmer. Meine gewärmten Fußzehen bohren sich in das herrlich flauschige Schaffell zu meinen Füßen und der superweiche Bademantel hält mich warm. Meine Finger fliegen über die Tasten, während meine Gedanken durch ein Jahr Erinnerung hüpfen…

Zöge ich Bilanz wie eine Pessimistin, dann würde ich dir von den neuen Falten und Wehwehchen, den Verlusten und Schmerzpunkten erzählen. Die wunden Erinnerungen daran mir mit Worten zurückholen und dir ausschmücken, würde klagen über das immer halb leere Glas und wie sehr mich manchmal das Leben angekotzt hat in den letzten 365 Tagen. Errechnete doch ein Computer eines Science-Fiction-Romanes, dass 42 DIE Lösung für alles ist, DIE Antwort auf alle Fragen, DAS wunderbarste Ergebnis. Nun liegt in wenigen Minuten das 42te Lebensjahr hinter mir und die Pessimistin zöge Bilanz: 42 war nicht der Knaller.

Ja, das könnte ich, doch ehrlich: ich will eine Bilanzbalance! Die Klagen kommen eh leicht über Lippen, die Wehwehchen wachsen ob ich will oder nicht, so ist das nun mal und das gehört zum Lebendigsein.

Ich will eine Bilanzbalance, will dir erzählen von all den Dingen, die ich gesehen, gehört, gerochen und gefühlt habe. Die mein Herz und meine Seele bereicherten …der Schnee im Erzgebirge, der Duft des Fichtenwaldes, die Robbenkolonie und die Wale, die Kühle der Seen in die ich abgetaucht bin und die Steine, die ich sammelte, die unzähligen Himmelsbilder und Schnappschüsse, würde die meine abgelaufene Schuhe zeigen und diese Fülle an Bildern in den kleinen Schachteln meines Regales…

Ich will dir erzählen von den Begegnungen in diesem Lebensjahr, die mich haben wachsen lassen und nachdenken. … Von den Armen, die mich gehalten und getröstet haben. … Von den Menschen, die mit mir geschwiegen und diskutiert haben, gelacht und geweint, die da waren und geblieben sind, die mich gehalten und ausgehalten haben und die ich lieben kann auf meine Art…

Von den Herzen, die für mich offen waren und den Augen, die mir zuzwinkerten. Ich will dir erzählen, von den Wegen, die ich gehen durfte und dass die Schrammen verheilen. Nicht nur die Blasen an den Füßen und die blauen Flecke auf der Haut, auch die Risse in mir wachsen langsam zu.

Ich will dir erzählen, wie ich „weiterwanderte“ und wie froh ich über jeden mutigen Wegbegleiter bin. Und wie dankbar!

So ziehen vor meinem inneren Auge Bilder meiner Bilanzbalance wie eine Diashow… und ich genieße ihre Farben, ihre Grau- und SchwarzWeißTöne, ich rieche die Eindrücke und lausche den Stimmen, tauche ab in den Erinnerungen, komme in Balance… und liebe es.

Und ein leises Lied summen meine Lippen jetzt… und die Fußzehen klopfen dabei den Takt ins Schaffell.

Warum ich dir diese Zeilen schreibe? Um dich zu ermuntern, in Bilanzbalance zu kommen… nicht stehen zu bleiben im Klagen über das Halbleere, Halbgewalkte, Verlorene, Verschwundene… sondern weiter zu wandern zu Dank und all dem wunderbaren Wertvollen – auch wenn das manchmal schwer fällt. Ich weiß. 🙂

Und in die Nacht hinein sende ich dir Wünsche ruhigen Schlafes und mein gesummtes Lied. Ar labu nakti!

Kritikgesellschaft

Als ich vor vielen, vielen Jahren als Lehrerin an einem Leipziger Gymnasium das erste Mal vor einer Klasse stand, sprang mir das Herz abwechselnd zwischen Hals und Hose… Schon damals fielen mir Strukturen des Schulsystems schwer, konnte ich mich mit einer angemessenen Notenvergabe im Religionsunterricht nicht anfreunden, Erwartungsbilder und festgezurrte Normen raubten mir nach und nach Freude und Motivation an der Arbeit und so atmete ich auf, als ich 2012 das System Schule verließ und in einen anderen religionspädagogischen Arbeitsbereich eintauchte.

Seit drei Jahren bin ich nun wieder im System Schule – das liegt an meiner Arbeitsstellenkonstellation. Dazwischen lagen eine Weltreise, viel Berufserfahrung in Wohlfahrtsverbänden und eine Beratungsausbildung. Und irgendwie merke ich nach und nach, dass Vieles immer noch herausfordernd ist in Schule. Etwas Gravierendes hat sich aber verändert. Zum Einen: statt des Rotstifts darf ich nun den grünen Stift zücken um schriftliche Erarbeitungen zu bewerten. Und zum Anderen: meine innere Haltung und meine Perspektive.

Was das meint? Nun, manchmal belächeln mich meine Kolleginnen und Kollegen ein wenig, wenn ich davon erzähle, wie ich versuche, wie ein „weißes Blatt“ in meinen Unterricht zu gehen, die Schülerinnen und Schüler wertzuschätzen und ganz plump gesagt, trotz allem was vielleicht vorher war, sie anzusehen und gern zu haben. Ihnen jede Woche neu eine Chance zu geben, auf Augenhöhe zu kommunizieren und für sich die Welt zu begreifen und zu entdecken. Ihnen den Blick auf ihre eigenen Fähigkeiten und Ressourcen zu ermöglichen.

Ja, dabei geht es in den Stunden freilich auch um Inhalte und Wissensabfragen. Doch versuche ich so oft es geht, Fragen einzubauen, die sie nicht so leicht beantworten können. „Was magst du an dir?“ – „Und was denkst du, schätzen deine Freunde an dir?“ – „Wofür würdest du dir selbst mal kräftig auf die Schulter klopfen?“ – „Was ist dir im Vortrag besonders gut gelungen?“…. Das, was mir immer wieder auffällt: die Jugendlichen kennen ihre Fehler, wissen messerscharf zu benennen, was sie nicht können, sehen das Defizit immer leichter, werden dabei gefühlt immer kleiner… Manche versinken in Selbstzweifeln und das zu erleben, macht mich unglaublich traurig und betroffen.

Wenn ihr die Jugendlichen fragtet, würden sie vielleicht sagen, dass Frau Finsterbusch mit ihren Fragen ganz schön anstrengend ist und ja, vielleicht bin ich für sie „Exotin in ihrem bekannten System“, doch hoffe ich, dass ich nicht allein bin mit Haltung und Perspektive. Dass auch meine Kolleginnen und Kollegen den Wert des Lobens, der Anerkennung und Wertschätzung hochhalten.

Und weil ich Geschichten liebe und sie manches besser auf den Punkt bringen, als ich mit meinen „pathetisch angehauchten“ Worten, hier zum Abschluss eine Geschichte über das Loben von Meike Winnemuth:

Ach, es ist so verdammt einfach, die Welt blöd zu finden. Die Bahn hat schon wieder Verspätung, der Kaffee ist absurd teuer. Und was hat der Typ bloß für ein unmögliches Hemd an! Es gibt nicht wenige Leute, die sich glücklich jeden Tag versauen, indem sie diese schmaläugigen Blicke auf ihre Umwelt werfen, auf der Lauer nach Dingen, die sie ärgern könnten. Das Wetter, das plärrende Kind – nervig. Wir leben in einer Kritikgesellschaft. Bereits in der Schule geht es darum, Fehler anzustreichen. Nicht das Gelingen wird belohnt, sondern das Scheitern bestraft. Läuft was gut, scheint das nicht der Rede wert. Oder wie der Psychiater Fritz Simon sagt: „Nicht geschimpft ist gelobt genug.“

Dass es auch anders geht, habe ich gelernt, als ich für ein paar Monate nach Brooklyn zog. Die New Yorker sind Meister der Komplimente im Vorübergehen. „Great pedicure, Honey“, sagt eine Frau beim Blick auf meine Füße und ist schon um die nächste Ecke verschwunden. „Excellent choice“, meint der Buchhändler, wenn ich ihm den neuen Ian McEwan auf den Kassentisch lege. Dieses dauernde Loben war für mich zuerst ein Schock, die klassisch deutsche Reaktion ein misstrauisches „Was wollen die von mir?“ Antwort: nichts. Die sagen nur, was ihnen gefällt. Und das macht allen gute Laune: Die, denen was Schönes auffällt, freuen sich, die, denen es gesagt wird, noch viel mehr.

Seit Brooklyn habe ich mir angewöhnt, alles Schöne und Gelungene zu loben. Dafür gibt es täglich hundert Gelegenheiten. Einer Supermarktkassiererin sage ich: „Unglaublich, wie schnell sie sind“, einer Frau im Café, was für tolle Schuhe sie trägt, einem Mann im Vorgarten, wie schön seine Rosen sind. Viele reagieren verunsichert, einige fühlen sich fast belästigt, aber die Mehrheit freut sich einfach, so wie ich. Denn erst mit freundlichem Blick auf die Welt stellt man fest, wie großartig sie ist, wie viel täglich klappt, wie schön das Leben in all seinen Kleinigkeiten ist. Das bedeutet nicht, dass ich ständig mit seligem Lächeln durch die Straßen hüpfe. Bitte! Ich bin Norddeutsche! Wir hüpfen aus Prinzip nicht. Aber das genaue Hinschauen (und das tollkühne Aussprechen, wenn man sich über etwas freut) sorgt für ein flauschiges Gefühl der Zufriedenheit, das sonst auf legalem Weg nur schwer zu erreichen ist. Müssen sie mal probieren.

Übung

Heute bediene ich mich eines Textes von Bernhard von Clairvaux. Über 1000 Jahre ist dieser Text alt, doch heute für mich so aktuell. Eine Übung, die ich mehr in den Blick nehmen sollte, darf, müsste – vielleicht auch du?

Schale der Liebe

Wenn du vernünftig bist, erweise dich als Schale und nicht als Kanal, der fast gleichzeitig empfängt und weitergibt, während jene wartet, bis sie gefüllt ist. Auf diese Weise gibt die Schale das, was bei ihr überfließt, ohne eigenen Schaden weiter.

Lerne auch du, nur aus der Fülle auszugießen, und habe nicht den Wunsch, freigiebiger zu sein als Gott.

Die Schale ahmt die Quelle nach. Erst wenn sie mit Wasser gesättigt ist, strömt sie zum Fluss, wird sie zur See.

Du tue das Gleiche! Zuerst anfüllen, und dann ausgießen.

Die gütige und kluge Liebe ist gewohnt überzuströmen, nicht auszuströmen.

Ich möchte nicht reich werden, wenn du dabei leer wirst.

Wenn du nämlich mit dir selbst schlecht umgehst, wem bist du dann gut?

Wenn du kannst, hilf mir aus deiner Fülle. Wenn nicht, schone dich.

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