Kritikgesellschaft

Als ich vor vielen, vielen Jahren als Lehrerin an einem Leipziger Gymnasium das erste Mal vor einer Klasse stand, sprang mir das Herz abwechselnd zwischen Hals und Hose… Schon damals fielen mir Strukturen des Schulsystems schwer, konnte ich mich mit einer angemessenen Notenvergabe im Religionsunterricht nicht anfreunden, Erwartungsbilder und festgezurrte Normen raubten mir nach und nach Freude und Motivation an der Arbeit und so atmete ich auf, als ich 2012 das System Schule verließ und in einen anderen religionspädagogischen Arbeitsbereich eintauchte.

Seit drei Jahren bin ich nun wieder im System Schule – das liegt an meiner Arbeitsstellenkonstellation. Dazwischen lagen eine Weltreise, viel Berufserfahrung in Wohlfahrtsverbänden und eine Beratungsausbildung. Und irgendwie merke ich nach und nach, dass Vieles immer noch herausfordernd ist in Schule. Etwas Gravierendes hat sich aber verändert. Zum Einen: statt des Rotstifts darf ich nun den grünen Stift zücken um schriftliche Erarbeitungen zu bewerten. Und zum Anderen: meine innere Haltung und meine Perspektive.

Was das meint? Nun, manchmal belächeln mich meine Kolleginnen und Kollegen ein wenig, wenn ich davon erzähle, wie ich versuche, wie ein „weißes Blatt“ in meinen Unterricht zu gehen, die Schülerinnen und Schüler wertzuschätzen und ganz plump gesagt, trotz allem was vielleicht vorher war, sie anzusehen und gern zu haben. Ihnen jede Woche neu eine Chance zu geben, auf Augenhöhe zu kommunizieren und für sich die Welt zu begreifen und zu entdecken. Ihnen den Blick auf ihre eigenen Fähigkeiten und Ressourcen zu ermöglichen.

Ja, dabei geht es in den Stunden freilich auch um Inhalte und Wissensabfragen. Doch versuche ich so oft es geht, Fragen einzubauen, die sie nicht so leicht beantworten können. „Was magst du an dir?“ – „Und was denkst du, schätzen deine Freunde an dir?“ – „Wofür würdest du dir selbst mal kräftig auf die Schulter klopfen?“ – „Was ist dir im Vortrag besonders gut gelungen?“…. Das, was mir immer wieder auffällt: die Jugendlichen kennen ihre Fehler, wissen messerscharf zu benennen, was sie nicht können, sehen das Defizit immer leichter, werden dabei gefühlt immer kleiner… Manche versinken in Selbstzweifeln und das zu erleben, macht mich unglaublich traurig und betroffen.

Wenn ihr die Jugendlichen fragtet, würden sie vielleicht sagen, dass Frau Finsterbusch mit ihren Fragen ganz schön anstrengend ist und ja, vielleicht bin ich für sie „Exotin in ihrem bekannten System“, doch hoffe ich, dass ich nicht allein bin mit Haltung und Perspektive. Dass auch meine Kolleginnen und Kollegen den Wert des Lobens, der Anerkennung und Wertschätzung hochhalten.

Und weil ich Geschichten liebe und sie manches besser auf den Punkt bringen, als ich mit meinen „pathetisch angehauchten“ Worten, hier zum Abschluss eine Geschichte über das Loben von Meike Winnemuth:

Ach, es ist so verdammt einfach, die Welt blöd zu finden. Die Bahn hat schon wieder Verspätung, der Kaffee ist absurd teuer. Und was hat der Typ bloß für ein unmögliches Hemd an! Es gibt nicht wenige Leute, die sich glücklich jeden Tag versauen, indem sie diese schmaläugigen Blicke auf ihre Umwelt werfen, auf der Lauer nach Dingen, die sie ärgern könnten. Das Wetter, das plärrende Kind – nervig. Wir leben in einer Kritikgesellschaft. Bereits in der Schule geht es darum, Fehler anzustreichen. Nicht das Gelingen wird belohnt, sondern das Scheitern bestraft. Läuft was gut, scheint das nicht der Rede wert. Oder wie der Psychiater Fritz Simon sagt: „Nicht geschimpft ist gelobt genug.“

Dass es auch anders geht, habe ich gelernt, als ich für ein paar Monate nach Brooklyn zog. Die New Yorker sind Meister der Komplimente im Vorübergehen. „Great pedicure, Honey“, sagt eine Frau beim Blick auf meine Füße und ist schon um die nächste Ecke verschwunden. „Excellent choice“, meint der Buchhändler, wenn ich ihm den neuen Ian McEwan auf den Kassentisch lege. Dieses dauernde Loben war für mich zuerst ein Schock, die klassisch deutsche Reaktion ein misstrauisches „Was wollen die von mir?“ Antwort: nichts. Die sagen nur, was ihnen gefällt. Und das macht allen gute Laune: Die, denen was Schönes auffällt, freuen sich, die, denen es gesagt wird, noch viel mehr.

Seit Brooklyn habe ich mir angewöhnt, alles Schöne und Gelungene zu loben. Dafür gibt es täglich hundert Gelegenheiten. Einer Supermarktkassiererin sage ich: „Unglaublich, wie schnell sie sind“, einer Frau im Café, was für tolle Schuhe sie trägt, einem Mann im Vorgarten, wie schön seine Rosen sind. Viele reagieren verunsichert, einige fühlen sich fast belästigt, aber die Mehrheit freut sich einfach, so wie ich. Denn erst mit freundlichem Blick auf die Welt stellt man fest, wie großartig sie ist, wie viel täglich klappt, wie schön das Leben in all seinen Kleinigkeiten ist. Das bedeutet nicht, dass ich ständig mit seligem Lächeln durch die Straßen hüpfe. Bitte! Ich bin Norddeutsche! Wir hüpfen aus Prinzip nicht. Aber das genaue Hinschauen (und das tollkühne Aussprechen, wenn man sich über etwas freut) sorgt für ein flauschiges Gefühl der Zufriedenheit, das sonst auf legalem Weg nur schwer zu erreichen ist. Müssen sie mal probieren.

Übung

Heute bediene ich mich eines Textes von Bernhard von Clairvaux. Über 1000 Jahre ist dieser Text alt, doch heute für mich so aktuell. Eine Übung, die ich mehr in den Blick nehmen sollte, darf, müsste – vielleicht auch du?

Schale der Liebe

Wenn du vernünftig bist, erweise dich als Schale und nicht als Kanal, der fast gleichzeitig empfängt und weitergibt, während jene wartet, bis sie gefüllt ist. Auf diese Weise gibt die Schale das, was bei ihr überfließt, ohne eigenen Schaden weiter.

Lerne auch du, nur aus der Fülle auszugießen, und habe nicht den Wunsch, freigiebiger zu sein als Gott.

Die Schale ahmt die Quelle nach. Erst wenn sie mit Wasser gesättigt ist, strömt sie zum Fluss, wird sie zur See.

Du tue das Gleiche! Zuerst anfüllen, und dann ausgießen.

Die gütige und kluge Liebe ist gewohnt überzuströmen, nicht auszuströmen.

Ich möchte nicht reich werden, wenn du dabei leer wirst.

Wenn du nämlich mit dir selbst schlecht umgehst, wem bist du dann gut?

Wenn du kannst, hilf mir aus deiner Fülle. Wenn nicht, schone dich.

Ihr da oben

„Ihr da oben“… In Anbetracht der – in der kommenden Woche – bevorstehenden Kommunal- und Europawahlen, ja auch die Landtagswahlen winken in Sachsen schon aus der Ferne, könnte der aufmerksame Leser vermuten, dass ich mich heute politisch äußere. Was soll ich sagen… weit gefehlt.

Aber ich habe ein „Geständnis“ für dich: ich habe Vox geschaut. Manchmal brauche ich sogenanntes Nicht-Nachdenke-Fernsehen zum Runterfahren nach einem langen Tag. Gestern bin ich in die Mediathek gestolpert und gelandet bei: Sing meinen Song. Die aktuelle Staffel. Die Folge über Sammy Amara – der Sänger von den Broilers. Und Johannes Oerding, in dessen Stimme und Musik ich eh schon länger verknallt bin, singt das Broiler-Lied „Ihr da oben“.

Ich könnte mir vorstellen, dass dir beim Hören auch Gesichter durch den Kopf, durch deine Erinnerung gezogen sind… und hast du dich vielleicht auch gefragt: „Welchen Namen zuerst? Den, der mir am meisten fehlt oder den, der weniger schmerzt?“

Wenn mich die Trauer und Verluste überrollen, mich die endgültige Traurigkeit über „bis-zum-Ende-gültige-Abschiede“ einholt, dann bin ich innerlich sehr froh und dankbar, meine Hoffnung zu haben. Meine Hoffnung auf das „da oben“, auf den Himmel. Ein Ort ohne Tränen. Ein Ort, an dem Abschiede hinfällig sind und auf ewig aufhören. An dem die Seelen miteinander tanzen und vielleicht auch in die Wolken schauen. Ein Ort, an dem meine Großeltern mit meinen drei Kindern spielen und Rumo zwischendrin hopst, Füße ableckt und geschmust wird. An dem es für ihn Leckerlis regnet und ich irgendwann Apfelmus bis zum Umfallen essen kann. Ein Ort, an dem man alles sagen und fragen kann, was man „hier unten“ nicht miteinander geschafft hat. Was man hätte unbedingt noch sagen wollen. Und Umarmungen nachholen. Und nach Erinnerungen fragen und gemeinsam Fotoalben anschauen. Und: in meinem Himmel gibt es Schnee und Eis und Mohnblumen zeitgleich, die Freesien duften und die Wälder am Wasser sind bunt gefärbt…

Wie stellst du dir das „da oben“, das Jenseits, den Himmel vor? Was stellen „die da oben“ an? Party auf der Wolke mit Katz und Hund und allem, was man schon immer mal machen wollte? Wie sieht dein Himmel aus?

Über Tod und Sterben und Trauer zu reden, ist nicht leicht. Es ist ein unangenehmes Thema, wird gesellschaftlich oft ausgespart. Wahrscheinlich jagt uns seine Endgültigkeit und Unausweichlichkeit und Unverrückbarkeit einen riesigen Respekt und auch Angst ein. Doch macht es mich auch achtsam und dankbar.

Dankbar für meine Himmelshoffnung. Manchmal begegne ich in meiner Arbeit Menschen, die glauben, dass nach dem Tod nichts mehr kommt, die auf kein „da oben“ hoffen. Damit begegnet mir dann auch ab und an eine große Hoffnungslosigkeit, ein mega Fragezeichen und zumeist wenig Trost. Dann wünsche ich den Menschen ein Stück meines Hoffnungsfunkens, der tief in meiner Seele wohnt. Damit ich diesen Funken nicht vergesse, wenn ich mal wieder am Boden hänge, trage ich das arabische Wort „amal“ (Hoffnung) als Tattoo an meinem Handgelenk.

Und in Anbetracht von Sterben und Tod werde ich achtsam: dafür, wie ich lebe. Heute und hier. Wie ich den Menschen „hier unten“ begegne, was ich unbedingt sagen und fragen möchte, was ich einfach stecken lassen sollte. Achtsam und dankbar für jeden Tag, an dem ich gesund wach werde, mich frei bewegen kann, meine Meinung offen sagen, lieben, lachen, weinen und im See abtauchen kann. Musik hören und tanzen und von meinem Hoffnungsfunken erzählen und dir diesen Beitrag schreiben kann.

Spieglein, Spieglein

Morgens vor meinem Badspiegel: Die Haare sitzen nicht, strubbeln in alle Richtungen. Ein neues Fältchen hat sich ins Gesicht geschlichen. Die Augenringe waren auch schon mal kleiner und der Bauch sowieso. „Guten Morgen, Selbstzweifel!“

Schleicht sich bei dir auch ab und an diese Kritik leise mit vor den Spiegel? Es wäre nicht verwunderlich, neigen Deutsche doch statistisch eher zu Pessimismus und Fehlersuche. Vielleicht begleitet dich der kritische, selbstzweifelnde Blick durch manche Tage: Wirke ich ansprechend für andere? Mache ich das Richtige bei der Arbeit? Begegne ich den Menschen freundlich? Bin ich anziehend für meinen Partner?…

Wenn ich in den Spiegel schaue und sich die Kritik leise danebenstellt, rufe ich mir ab und an Worte aus dem ersten Buch Mose in den Kopf: „Du bist ein Gott, der mich sieht.“ Die Worte entstammen Hagars Mund, einer ägyptischen Magd. Sie war vor einem Konflikt  mit ihrer Herrin in die Wüste geflohen und dort ohne scheinbare Perspektive. Vielleicht war ihr Herz gefüllt mit Selbstzweifel und Pessimismus. Als Hagar schließlich eine Wasserquelle findet, fühlt sie sich von Gott gerettet und gesehen. Die Geschichte erzählt von Gottes klarem Blick und Anerkennung für Hagar, seinem Zuspruch. Gott sieht Hagar mit allem, was zu ihr gehört. Gott sieht mit liebenden Augen ohne kritische Fehlersuche – besonders in Wüstenzeiten.

Diese Anerkennung Gottes heißt für mich, dass Gott mich eben nicht auf den ersten Blick aburteilt, wie es die Menschen manchmal tun. Gott sieht mehr als meine Bauchfalten und Augenringe hinter den strubbeligen Haaren, Gott schaut mir ins Herz. Mit seinem liebenden Blick nimmt er mich in die Arme und flüstert mir zu: „Ich sehe dich und du bist genau richtig, so wie du bist!“

Und auch wenn es mir immer wieder schwer fällt, ermutigt mich der liebende Blick Gottes, meine Perspektive zu ändern. Wenn ich in den Spiegel schaue, dann sehe ich auch meine funkelnden Augen und ihre verschmitzte Lebenslust, meine bunte Neugier und mein offenes Herz für die Welt. Dann verzieht sich die Kritik vom Spiegel. Und es flüstert leise in mir: „Gute Nacht und auf nimmer Wiedersehen, Selbstzweifel!“

Karfreitag

Leben ist vielschichtig, leicht und fragwürdig, bunt und grau, trist und herzzerreißend, wundervoll, zweifelhaft, wirbelig und zwiebelnd…

Und manchmal fehlen mir in dieser Vielschichtigkeit die Worte.

Deswegen darf ich heute Worte nutzen, die ich für diesen Karfreitag so passend finde. Falk Herrmann ist der Autor, ein Träumer, Freund und Weltschmerzkenner, ein Kollege, Füllerschreiber und Geschichtenerfinder, ein Nachdenker und Gleichwürdigkeitsliebhaber, ein sich-von-Kindern-etwas-sagen-Lasser:

„Ich schaue auf das Kreuz“ (@derdesertboy)

Ich mag es, dem Glauben anderer zu begegnen und rede doch sehr selten von meinem. Nichts gibt mir mehr Verwirrung und Stabilität als mein Glauben.

Was mich stärkt: Ich bin eines Morgens aufgewacht mit drei Jahren. Ich habe vom Tod geträumt und habe das Leben in dieser Welt gesucht. Habe geredet, beobachtet und gefragt.

Freunde sind mir viele Menschen geworden. Ob Atheist, Christ oder wer auch immer. Ich stehe mit meinem inneren Kind vor ihnen und höre ihnen gern zu. Ich mag es, den Glauben anderer zu hören. Ich kann das sehr gut stehen lassen. Ich nehme mir ein Polaroid von ihrem Glaubensbild mit und hänge es in mein Herz.

Was glaube ich?

Gott hat mir an Karfreitag ins Ohr geflüstert: „Weißt du, Falk, du bist ein Mensch. Kümmere dich darum, ganz Mensch zu sein. Und verzweifle nicht in der Welt. Schau, auch ein Gott kann sterben und alle Verbitterung mitnehmen. Es ist sehr gut. Wir sind im Reinen. Erlösung ist mein Job. Übermorgen rette ich dich im Hier, nicht im Dort.“

Ich suche nicht den jenseitigen Himmel, der mir Ruhe schenkt. Ich habe es hier in der Welt, jetzt.

Es ist völlig okay, verzweifelt zu sein und keine Hoffnung zu haben.

Es ist schön, voll Hoffnung zu sein und zu tanzen.

Leben ist so vielseitig, dass jede/r wie ein Legostein ist. Aber nicht jeder passt überall hin. Die Frage ist doch aber, ob ich dort hinpasse, wo ich bin. Vertraue ich? Werde ich angenommen? Wir Menschen haben so viel erfunden. sind hoch technisch. Halten uns für toll. Aber im Sozialen und in Fragen des Glaubens doch eher so paar tausende Jahre zurück. Ich hatte Menschen, die mir meinen Glauben gelassen haben. Dafür bin ich dankbar.

Ich wachse und suche. Ich mag die Gespräche und das Ringen. Manchmal die Angst der Erkenntnis, dass mein Gegenüber mir etwas schenkt, das mich ins Wanken bringt. Aber wenn all das in Gleichwürdigkeit passiert, kann ich nicht tief fallen.

An Karfreitag stirbt der Gott und nur in der Retropesktive ist es gleich ein Sieg.

Mein Gott stirbt erstmal ohne Auferstehung. Das, was Christus an Haltung in mein Leben gebracht hat, spielt sich hier und heute ab. Mein Glauben verbindet und hält aus.

Auch Karfreitag oder gerade da.

Darf ich mich vorstellen?

Zum heutigen Sonntag mag ich mich sehr gern eines Textes bedienen, den ich nicht selbst verfasst habe, der mich aber an diesem Wochenende sehr berührt hat. Er entstammt der Feder meines Kollegen Henning Olschowky und herzlichen Dank an dieser Stelle, dass ich ihn veröffentlichen darf :-)!

„Darf ich mich vorstellen? Ich bin die Liebe.

Ich bin anders als die meisten Vorstellungen von mir und es ist ganz schön ermüdend, gegen die vielen falschen Bilder anzulieben, die da von mir im Umlauf sind. Dabei ist es doch eigentlich ganz einfach. Ich bin ohne Aufwand überall bei euch, wo ihr nach mir Ausschau haltet.

Ich finde mich in der beeindruckenden Schönheit unberührter Natur ebenso wie im freundlichen Grün des Blumentopfes auf eurer Fensterbank. Ich begegne euch nicht nur im Traumpartner, sondern in jedem Menschen, dem ihr offen und vorurteilsfrei gegenübertretet. Ich bin noch da, wenn ihr alt und grau geworden seid und ein paar Pfunde zu viel über dem Gürtel hängen habt. So etwas kann die Liebe nicht vertreiben. Ich lasse mich in jedem ehrlich ausgesprochenem Lob, in jeder Anerkennung finden, die ihr einem anderen Menschen zollt. Ich bin im Respekt zu finden, den ihr vor jedem Lebewesen habt, ich lächle und winke euch freundlich zu, wenn ihr achtsam mit den Dingen dieser Welt umgeht und sie schont.

Die Liebe ist schonend, denkt daran. Sie verschont den anderen, wenn es möglich ist. Sie gibt Schutz. Sie verschenkt Aufmerksamkeit an solche, die darauf warten.

Ich bin bei euch, wenn ihr genau das tut. Ich bin in jedem Geschenk, das ihr sorgfältig ausgewählt habt, um einem anderen eine Freude zu bereiten, in jedem Lied, das ihr füreinander singt. Die Freude ist meine Zwillingsschwester. Und wir beide bleiben bei euch, auch wenn ihr etwas von euch weggegeben habt. Wir lachen euch aus spontanen Überraschungen entgegen. Wir nicken euch zu, wenn ihr Hilfe leistet und eure Fähigkeiten bereitwillig zur Verfügung stellt.

Wir haben noch einen Bruder, der Ernst heißt. Die Liebe macht ernst: das müsst ihr wissen. Das versprechen sich Liebende, wenn sie sagen: für immer. Der Ernst bleibt im Krankenzimmer, sitzt geduldig mit am Bett, wischt Tränen ab, bringt Blumen mit, erzählt Witze, obwohl ihm zum Heulen zumute ist. Er geht mit bis ans Grab eines geliebten Menschen und begleitet auch die Zeit danach, wenn der eine ohne den anderen weiterleben muss.

Manche suchen ein Leben lang nach der Liebe, aber sie finden mich nicht, weil sie an der falschen Stelle suchen – an Bord des Traumschiffes, auf der Südseeinsel, irgendwo auf Wolke sieben. Dabei bin ich ganz nah.

Ihr seht mich schon morgens im Spiegel, wenn ihr mit dem richtigen Blick hinschaut! Es ist die liebevolle Sicht ins eigene Gesicht, die mich erscheinen lässt. Wenn ihr mich so geweckt habt, gehe ich den ganzen Tag über mit euch. Ihr braucht Nachsicht, wenn ihr die Liebe sehen wollt; seid nicht zu streng mit den Menschen ringsum und mit euch selbst. Ihr braucht aber auch Vorsicht! Fallt nicht auf jedes irreführende Wort herein, das euch Liebe vorgaukelt, wo in Wirklichkeit nur Egoismus zu finden ist. Ihr benötigt Umsicht, um mich an der Seite zu haben.

Wer die Liebe finden will, darf nicht auf die Erde starren oder als Hans-guck-in-die-Luft durchs Leben stolpern.“

Zwischen den Jahren

Zwischen den Jahren weiß ich oft nicht, welcher Wochentag ist. Und welches Datum. Zwischen den Jahren fühle ich mich irgendwie ungehalten, schwebend.

Zwischen den Jahren beginnen die Menschen abzurechnen, Bilanz zu ziehen, neue Listen zu schreiben und die Bucketlist 2024 zu erstellen. Zwischen den Jahren entstehen neue Vorsätze und feine Erwartungen, zwischen den Jahren böllern manche zu zeitig sich den eigenen Trübsinn weg. Zwischen den Jahren ist ein wenig „Ausnahmezustand“ – im besten und auch anstrengendsten Sinne.

Zwischen den Jahren ist endlich mein Stollen angeschnitten. Tapfer habe ich bis zum 25. Dezember den Versuchungen widerstanden, umso schöner war der Genuss am ersten Weihnachtstag. Zwischen den Jahren esse ich so viele Orangen, wie das ganze Jahr sonst nicht ;-). Zwischen den Jahren vermisse ich Wintersport und freue mich, dass heute endlich die Vierschanzentournee losgeht 🙂 Zwischen den Jahren sind die Menschen anders, in sich gezogen oder noch mal richtig unterwegs – dieses Jahr fühle ich mich in der Schwebe „zwischen den Jahren“.

Zwischen den Jahren beginne ich aufzuräumen: im Außen und im Innen. All die Dinge, die schon lange rufen, sortiert oder weggeräumt zu werden, scheinen zwischen den Jahren dieses Mal noch lauter zu sein. Altglas, Altpapier, Staubflusen, Bücher sortieren, Unterlagen ausmisten, Emails bearbeiten… Irgendwie sehen ich mich jedes Jahr neu, „aufgeräumt“ in das neue Jahr zu starten und jedes Mal denke ich an das neue Schulheft und die Freude über den Geruch und die jungen Seiten, die sehnsüchtig warten, hübsch beschrieben zu werden. Sonst habe ich tatsächlich zum Jahreswechsel ein neues Schreibbuch begonnen und das alte ad acta gelegt – in diesem Jahr soll es anders sein: ich will das Alte mitnehmen, der Übergang soll fließend sein im Schreiben und in meinen Gedanken. Zwischen den Jahren fallen mir immer sehr die Dinge auf, die im vergangenen Jahr nicht geworden sind, die offenen Sachen, das Misslingen. Dieses Jahr will ich zwischen den Jahren versuchen, all das in den Blick zu nehmen, was gut war, Fröhliches, Glückliches, Leichtes… trotz dieser tiefen Traurigkeit, die es immer noch gibt, denn:

Zwischen den Jahren fehlt Rumo dieses Jahr ganz besonders.

Zwischen den Jahren ist es dieses Mal zäh wie Kaugummi an der Schuhsohle… zu oft, zu leise. Zu oft eine Schwebe. Dieses Mal sehne ich mich besonders nach dem Alltag, der 2024 wieder beginnen kann, dann wirkt das Außen sortierter, denn das Innen ist gerade ganz schön durcheinander.

„Zwischen den Jahren“ ist übrigens eine Redewendung, die es erst seit dem 17. Jahrhundert gibt. Die Tage zwischen Weihnachten und Neujahr waren bis dahin in der Schwebe, denn das alte Jahr endete am 24. Dezember und das neue Jahr begann je nach Ort spätestens am 6. Januar. In manchen mittelalterlichen Frauenklöstern begann das Jahr sogar erst am 25. März. So herrschte feine Verwirrung und es gab in manchen Regionen mehrere Neujahrstage 🙂 Dieses Neujahrswirrwarr beschrieb der Volksmund zutreffend mit „zwischen den Jahren“.

Zwischen den Jahren wünsche ich dir gute Stunden, erbauliche Momente, stärkende Begegnungen! Und freilich: guten Rutsch!

Träumereien

Und, wovon träumst du so?

Die letzten beiden Nächte habe ich zweifach den gleichen Traum gehabt – Anlass für meinen Träumereien-Blogbeitrag…

Ich habe von meinem Bett geträumt und meinem Schlafzimmer – so wie es jetzt ist. Als wäre ich wach und nicht schlafend. (Das weniger Sonderbare für mich ist: ich träume häufig so realistisch, dass ich meist nach dem Aufwachen einen längeren Hallo-wach-Check machen muss. Also war es auch in den letzten Nächten nicht verwunderlich, dass ich mich in meinem Schlafzimmer träumte.) In meinem Traum lag ich auf dem Bett, mit Blick zur offenen Tür – sie steht immer (noch) offen, damit Rumo zu seiner Wasserschale tapsen konnte, wenn er nachts durstig wurde. In genau das passierte: im Traum tapste Rumo aus dem Flur ins Schlafzimmer. Meine süße Hundenase, als wäre er noch immer lebendig – ich sehe sein flauschiges Fell und seine dunkelliebfunkelnden Augen, rieche ihn förmlich. Er setzt sich schwanzwedelnd vor mein Bett, bis ich auf die Decke neben mir klopfe. Das war sein Zeichen, dass er neben mir liegen durfte und er hopst zu mir unter die Decke. Nur etwas ist anders: er ist nicht allein. Ihm folgt ein kleiner tiefbrauner Dackelhund, kurze Haare, wacher Blick und er hopst genauso selbstverständlich wie Rumo zu mir ins Bett. Und in diesem Moment bekomme ich das merkwürdig-creepy-warme Gefühl, dass mich Rumo mit seinem neuen Hundekumpel besucht… und ich wache auf.

Herzpochend, wie es meistens ist, wenn ich so realistisch träume, wurde ich wach und merkte, wie mir eine Träne über die Wange lief. Ich lag auf dem Rücken, mit dem Blick in den Baldachin über meinem Bett und ich bin tieftraurig, dass Rumo und sein Hundekumpel nicht mehr neben mir liegen. Doch mir gefällt auch der Gedanke, dass Rumo einen Hundekumpel hat – da wo er jetzt rumtobt.

Als ich dann heute nach einem passenden Beitragsbild für diesen Gedanken suchte, fiel mir einer meiner liebsten Künstler R. Magritte ein. Wer schon mal durch meine Wohnung geschnorchelt ist, wird „Die Liebenden“ entdeckt haben – das Original von ihm, mein kleiner Selbstversuch mit Bleistift im Flur. Der belgische Maler hat ein zu meinen Träumereien passendes Bild gemalt „The victory“. Himmel und Meer, Tür und Boden verschwimmen ineinander und ich darf suchen, wo es ein Ende und einen Anfang gibt, wie Traum und Wirklichkeit voneinander abgegrenzt sind. Eigentlich fließt alles ineinander; ein wenig wie mein herzwärmender Gedanke: Rumo hat jetzt einen Hundekumpel. Wie schön. Und er darf gern mit ihm wieder zum Traumbesuch kommen.

1-2-3-4

Ich schlage die Augen auf und schaue auf mein Handy: 5.34 Uhr. Ich hatte gehofft, dass ich mal eine Nacht durch- oder längerschlafen könnte, doch mein innerer Hundewecker tickt noch immer.

Sie liegt neben mir und starrt mich an: „Lass uns einfach liegen bleiben. Wir ziehen die Vorhänge zu, machen uns einen Hobbit-Film an und warten, bis der Tag vorbei ist.“ „Das geht nicht“, antworte ich ihr und schlage die Bettdecke zurück, „ich muss aufstehen.“

Ich lasse meine Beine kurz an der Bettkante baumeln, wie ich es immer getan habe, damit Rumo voller Freude über den neuen Tag meine Füße abschlecken konnte – er war ein Fußfreund! Dann seufze ich leise und stehe auf, wackle in die Küche, schalte den Wasserkocher an und greife zur Kaffeedose. „Ich mag nicht rausgehen“, sagt sie neben mir und versucht mich, wieder ins Bett zu locken. „Du hast doch Urlaub, lass uns einfach wieder hinlegen.“ Sie zieht leicht an mir, doch heute gebe ich ihr nicht nach. „Ich schmiere ein paar Brote für später, packe meinen Rucksack und dann gehe ich los. Du kannst ja hierbleiben, wenn du möchtest.“ Fast vorwurfsvoll setzt sie sich neben meinen Rucksack in den Sessel von Rumo und wartet, bis ich alles eingepackt habe. „Das ist doch sinnlos“, klagt sie. „Er ist doch eh nicht mehr da und diese Seenwanderungen sind doch einfach sinnlos ohne ihn. Das wolltest du doch mit Rumo machen!“ „Ja“, reagiere ich leise, „für mich fühlt es sich auch sinnlos an und zäh und anstrengend und ich mache es trotzdem. Und vermutlich willst du mit?“ Sie nickt und wir beide schlurfen zum Auto.

Sie sitzt immer hinten rechts auf den Decken, die noch nach Rumo riechen und auf denen noch seine Haare heften. Sie starrte aus dem Fenster und sagt keinen Ton mehr. Inzwischen habe ich das Hörbuch angeschaltet und wir fahren durch den Morgen. Siebenundzwanzig Seen hatte ich zum Jahresbeginn 2023 ausgesucht, um die ich mit Rumo wandern wollte. Manche von ihnen gehören dem diesjährigen „run the lake“ an, die anderen sind einfach unbekannt für mich. Sie sind alle mehr oder weniger im Neuseenland um Leipzig verstreut und ich dachte zum Jahresbeginn, dass das eine schöne Challenge für mich und das Rübchen sein könnte. Im Januar hatte ich eine Karte gemalt und an einer meiner Türen gehängt und nach jeder geschafften Wanderung wollte ich den jeweiligen See ausmalen, bis die ganze Karte farbig sein würde. „Wieso machst du das?“, fragt sie leise vom Rücksitz aus. Ich antworte ihr: „Weil ich es durchziehen muss. Ich habe es Rumo versprochen und mir auch.“

Am Montag vor sieben Wochen hatte sie einfach in meiner Küche gesessen. Sie sei jetzt hier und auf meine Frage, wie lange sie bleiben würde, hatte sie mit den Schultern gezuckt und etwas gemurmelt von, so lange, wie es eben dauern würde. „Ich habe kein Zimmer für dich und auch keinen richtigen Platz“, hatte ich ihr damals gesagt, doch das war ihr egal. Sie würde eh alles mit mir teilen, da sei ihr alles andere wumpe.

Am Parkplatz des Seelhausener Sees angekommen, hucke ich meinen Rucksack auf, verschließe das Auto und starte meine Komoot-App. Auch heute würde ich die Runde tracken – das mache ich jedes Mal. Ich sage ihr, dass ich heute im Uhrzeigersinn den See umlaufen möchte – ihr ist es wumpe, meint sie. Ich laufe los, sie schlurft neben mir.

„Weißt du noch, wie er immer gleich losgeflitzt ist und es kaum aushalten konnte, alles anzuschnüffeln? Und wie er manchmal, wenn es ihn gerappelt hat, um dich rumgefetzt ist, als hätte ihn der Hafer gestochen? Und wie er ab und an ganz brav neben dir gelaufen ist, um ein Leckerli für das gute Beifußgehen zu erhaschen und dann wieder losgefegt ist, wenn er es bekommen hatte?“, fragt sie mich.

Ja, ich weiß das alles und die Tränen laufen mir über die Wangen, tropfen auf meine Schulter, meinen Hals, laufen und laufen und laufen. Ich beginne innerlich zu zählen: 1-2-3-4, um nicht wahnsinnig zu werden. 1 – Schritt, Schritt, 2 – Schritt, Schritt, 3 – Schritt, Schritt, 4 – Schritt, Schritt, 1 – Schritt, Schritt, 2 – Schritt, Schritt… meine Beine übernehmen den Takt. Zu Zählen habe ich vor einigen Jahren im Kloster gelernt. Die buddhistische Meditation schlug das Zählen vor, um den Kopf frei zu bekommen und die Gedanken ziehen zu lassen. Der Zen-Meister hatte damals das Zählen bis acht und dann von vorn vorgeschlagen; über die Zeit habe ich für mich gemerkt, dass mir das Zählen bis vier hilft. Da komme ich in einen Trott, in dem ich das Tempo halten und die Gedanken manchmal fliegen lassen kann. 1-2-3-4-1-2-3-4-1…

Nach den ersten Kilometern entlang des Asphaltweges, gelangen wir an eine Kreuzung, ich schaue kurz auf meiner App, welchen Weg ich weitergehen mag und sehe, dass wir schon eine Stunde unterwegs sind. Ich wähle den Feldweg und zähle innerlich weiter. „Der Weg hätte Rumo auch gefallen“, sagt sie mir zustimmend und schlurft weiter neben mir mit hängendem Kopf. Sie sieht den See nicht, sie schaut nur auf ihre Füße und die Steine auf dem Weg. Manchmal versuche ich sie und ihre Fragen zu ignorieren, mich nur auf mich zu konzentrieren, doch dann nimmt sie meine Hand und sagt, das gehe so nicht. Manchmal schreie ich sie an, sie solle weg gehen und mich in Ruhe lassen, sie solle zum Auto gehen und dort warten; sie hört sich alle Beschimpfungen an, lässt meine Wut über sich ergehen und dann laufen wir beide weiter und die Tränen kullern uns beiden. „Ich bin doch jetzt da“, flüstert sie mir zu und ich weiß, dass sie recht hat. „Du brauchst einen Platz“, sage ich ihr, „du kannst nicht immer und überall dabei sein. Du brauchst einen Platz, damit wir beide auch mal Pause voneinander haben.“

Seitdem sie am 12. Juni eingezogen ist, habe ich mir ihr gemeinsam nach einem Platz für sie gesucht: im Erzgebirge, am Zwenkauer See, in meiner Wohnung, am Kulkwitzer See, im Büro…. Doch ich habe das Gefühl, wir suchen weiter. Und ich habe keine Ahnung, wie lange das noch dauern wird.

Inzwischen schmerzen meine Füße, die Sonne knallt auf meinen Kopf, der Schweiß läuft über meinen Rücken – 1-2-3-4- und ich entschließe mich, eine Pause zu machen. Wir haben einen kleinen Sandstrand erreicht und ich lasse meine Klamotten in den Sand fallen und springe ins Wasser. Eiskalt umspült es mich, wäscht alles ab und hüllt mich ein. Ich tauche ab, immer und immer wieder, mindestens vier Mal. Ins Wasser geht sie nie mit, sie sitzt immer neben meinem Rucksack und wartet geduldig auf mich – so, wie es Rumo auch oft gemacht hat. Manchmal bleibe ich länger im Wasser, um nicht gleich wieder neben ihr zu hocken, tauche noch vier Mal ab. …

Als ich appetitlos mein Frühstück neben ihr kaue, schauen wir beide auf die Wellen. Es macht uns beide ruhig – ein bisschen wie der Effekt von Lagerfeuer und Glut, in welches ich auch Stunden schauen könnte. In diesen ruhigen Momenten gelingt es uns, ohne Tränen an Rumo zu denken, wir tauschen Geschichten über den Hundemann und sind dankbar über alle Zeit, die wir miteinander hatten. Dann liegt ein dankbar-erinnerndes Lächeln auf meinem Gesicht und ich fühle sein Fell an meinen Beinen.

„Wir werden deswegen auch morgen wieder laufen“, sage ich ihr, „genau für diese Momente, in denen sich die Dankbarkeit zu uns beiden setzt. Verstehst du das? Ihr braucht beide einen Platz – die dankbare Erinnerung und du.“

„Ich verstehe das“, antwortet mir die Trauer und dann stehen wir beide aus dem Sand auf und laufen weiter.

Schwimmhelfer

Wahrscheinlich kennen manche von euch das Lied „Still“ von Jupiter Jones… so still. Ein Lied, an welches ich in den vergangenen Wochen oft gedacht habe, denn es beschreibt ganz gut, wie es nun in meiner Wohnung und oft auch in meinem Leben ist: ganz schön still ohne Rumo.

Ich erinnere mich, wie seine Marken am Halsband geklappert haben, wenn er sich geschüttelt hat – ich schmunzle bei dem Gedanken, dass sich mal jemand, der Rumo hütete, daran versucht hatte, das Geräusch zu mindern – mit Leder zwischen den Marken und auch mit dem verzweifelten Versuch, beide Marken zusammenzukleben. Ich denke an sein herrliches Gähnen, wenn er sich nach seinem Buz gestreckt hat. Und ich denke daran, wie seine Pfoten über das Laminat tippelten. Wie er bellte, wenn es klingelte oder er nur dachte, dass gleich jemand klingeln würde; wie er hechelte und über den Teppich wirbelte, wenn es Zeit war, Zähne zu putzen oder die Leckerlitüte raschelte.

Ja, es ist jetzt wirklich still hier.

Trauer, Tränen, Verlust und Abschied sind besondere Themen und manches Mal auch Themen, mit denen wir nicht geübt sind, umzugehen. Die eigene Hilflosigkeit und die Sprachlosigkeit lähmen manchmal, das Gespräch über Trauer und Traurigkeiten sind wir nicht gewohnt, oft wird es auch unter den „Tisch gekehrt“ mit den Worten, „es muss doch irgendwie weitergehen“, „warte mal noch zwei Wochen, dann geht es wieder“, „die Zeit heilt“. Vielleicht ist es mühsam, sich mit den unschönen Zeiten des Lebens, mit Verlust und Abschied auseinanderzusetzen, vielleicht ist es unbequem oder konfrontiert uns mit unseren Grenzen wenn jemand weint… und hey, vielleicht heilt der Verlust eben nicht. Die Narbe wird vielleicht kleiner, blasser, vertrauter, doch die Narbe bleibt. Und vielleicht hilft reden, schreiben, das Thema „lauter“ machen in all seiner Stille…

Leider bin ich in den letzten Tagen auch immer wieder mit der Hilflosigkeit und vor allem der sperrigen Unsicherheit anderer konfrontiert und auch darüber möchte ich nicht schweigen. Kein zweiter Hund wird Rumos Verlust überdecken; und ja, ich werde so lange traurig sein, wie es eben dauert, auch wenn es „nur“ ein Hund war in den Augen mancher Menschen; und ja, es ist komisch, wenn ihr mich ohne Rumo trefft, doch ich bin immer noch ich, mein Fellteam fehlt halt… Rumo war für mich Familie, Rumo war mein Hundepartner, mein Seelenversteher, mein Tröster und Wachmacher, mein Runterfahrer, mein „Schwimmhelfer“. M. Schweighöfer beschreibt in seinem Lied „Fliegen“ sehr gut, was Rumo vor allem in den ersten Jahren der Therapie für mich war und letztendlich bis zum Ende auch:

“ Und ich helf‘ dir schwimmen; wenn deine Arme und Beine schwer wie Blei sind, helf‘ ich dir schwimmen. Ich helf‘ dir schwimmen, wenn der Schlamm und Schlick so dick wird, dass du denkst du wirst verrückt, helf‘ ich dir schwimmen. Helf‘ dir schwimmen, und egal wie lang, wie qualvoll, fern ob nah, bin immer da und helf‘ dir schwimmen.“

Seit drei Wochen übe ich alleine schwimmen, übe Hunderunden ohne Rumo zu gehen und trotzdem am See unterzutauchen und abzutauchen, Luft zu holen und in Bewegung zu bleiben. Es fühlt sich fremd an und manchmal so still, dann rede ich mit ihm, als wäre er noch da. Ja, vielleicht bin ich die verrückte Frau aus Markranstädt ;-), ein bisschen Lachen muss ich bei dem Gedanken, doch es hilft gegen die Traurigkeit. Und es schadet niemandem 🙂

Ich wünsche euch Worte und Mut zum Reden, Orte zum Schweigen und Arme zum Fallenlassen, Platz für Tränen und Trost. Und ganz viel Mut, zu üben.

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