Pfingstmontagsgedanken

Heute kurz nach fünf das gleich Spiel wie jeden der letzten Tage: ich wache auf und kann nicht mehr schlafen. Obwohl ich das Schlafzimmer abgedunkelt und das Fenster gegen die morgendliche Zwitscherfreude der Vögel verschlossen halte, schlafe ich nicht länger. Grummelnd erhebe ich mich, koche einen Bittertee und beschließe, den Morgen zu nutzen, um eine Runde zu laufen. Das Gute an Feiertagsmorgen ist doch das: keiner ist unterwegs und es fällt nicht mal auf, wenn ich mit ungekämmten Haaren in Schlonzklamotte durch Markranstädt laufe!

Kurz vor sechs erhebt sich dann die Sonne über die Baumwipfel und mit ihr bin ich unterwegs. Die Gedanken laufen kleine Schleifen, während ich die frische Luft tief einatme und die Menschenruhe genieße.

… Pfingsten ist eines der letzten großen Feste im Kirchenjahr. Nachdem Jesus im Himmel verschwunden war, passierte 10 Tage lang nichts. Dann – 50 Tage nach Ostern – gab es „plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm tobt… Zungen wir Feuer, die sich verteilten“. Der Geist Gottes war unter die Menschen gefahren und beGEISTerte sie, erfüllte ihre Herzen, vereinte sie über Ländergrenzen hinaus. So erzählt es die Apostelgeschichte der Bibel. Und ich bleibe hängen an den Fragen: Was beGEISTert mich? Wofür brennt mein Herz? Wofür bin ich Feuer und Flamme?…

Ich beschließe kurzentschlossen, meine mitgebrachte Schere und Beutelchen zu zücken und an diesem riesigen Holunderbusch halt zu machen, um Blütendolden zu schneiden. Inmitten des summenden Busches genieße ich den stillen Morgen vor allem, weil Pfingsten in Leipzig besonders viele Menschen nach draußen lockt. Dieses Jahr fallen Stadtfest und WGT (Wave-Gotik-Treffen) aufeinander. Schon am Freitag erlebte ich eine angespannte Parkplatzsituation und „wühlte mich“ rund um den Park durch gutgelaunte, phantasievoll gekleidete Anhänger der „schwarzen Szene“ hin zum Verlag. Das, was es diesen WGT-Tagen immer wieder gelingt, ist, das Ende des Lebens, den Tod, in das Bewusstsein der Menschen zu holen. Den Tod ein Stück alltäglich und greifbar werden zu lassen. Der Korso von Leichenwagen gehört selbstverständlich zum WGT, wie Konzerte, Andachten und die unzählige Begegnung mit „den Schwarzen“ verteilt über die ganze Stadt. Für manche vielleicht befremdlich – für mich anteilig auch, besonders, wenn Menschen in Gasmasken vor mir stehen. Und doch: besonders heute morgen – im Holunderbusch stehend – schweife ich zu der Frage, wie „alltäglich“ ich mit dem Thema Tod umgehen kann?

Die Endgültigkeit, die vermeintliche Letztgültigkeit nimmt mir fast die Lust zum Atmen und der Kloß im Hals wächst… heute ist der Todestag meiner Omi; in drei Tagen jährt sich zum zweiten Mal Rumos Todestag… Unwillkürlich steigen mir Tränen in die Augen und das Vermissen schmerzt. Keine Ahnung, ob und wie Zeit Wunden heilt, was ich fühle: Zeit verändert Wunden. Und Zeit bringt dankbares Lächeln zu den Tränen…. Und wird dann Tod „alltäglicher“?

Ich lege die letzten geschnittenen Holunderdolden in das Beutelchen und schicke einen Gruß gen Himmel, übe so, mit der Endgültigkeit des Todes umzugehen und ihn etwas alltäglicher zu machen: An alle die, die viel zu früh gegangen sind. An alle die, die ich heute besonders vermisse. An alle die, die mir Tränen und Lächeln ins Gesicht zaubern. An alle die, mit denen mich dankbare Erinnerungen verbinden. Ihr fehlt.

Auf dem Weg nach Hause wandern die Gedanken wieder und die Tränen werden weniger. Meine Pfingstmontagsgedanken und die Fragen an dich: Was beGEISTert dein Herz? Wofür bist du Feuer und Flamme? Und welche Erinnerung zaubert dir Tränen und Lächeln ins Gesicht? Ich wünsche dir einen hübschen Feiertag!

Feiertags-Potpourri

Heute ist Feiertag. Und/oder Christi Himmelfahrt. Und/oder Männertag. Und/oder Vatertag.

Heute ist Feiertag. Heute ist ein freier Tag. Keine Arbeit, keine Verpflichtungen, abhängen, rumgammeln, rausgehen, unterwegs sein. Doch was genau befeiern denn die Menschen heute eigentlich?

Meinen Tag dominierten besonders am Vormittag Männerherden, die sichtlich angetrunken auf dem Fahrrad durch die Gegend juchtelten. Auch traf ich eine kleine Horde mit Bollerwagen, Birkenbäumen und Bierkästen. Die Box mit lautem Schlager gefüllt, zogen sie durch die Straßen. Auf dem Heimweg vom Kleingarten kamen mir ungezählte Motorradfahrer entgegen oder überholten mich; selbst jetzt, während ich diese Zeilen schreibe, heulen ab und an die Motoren laut an der Ampel 50 Meter entfernt von meinem Haus. Ich gestehe: mit diesem Männertag kann ich überhaupt nichts anfangen. Es scheint, als würde dieses Brauchtum genutzt, um sich „mit der offiziellen Feiertags-Begründung“ schon morgens die Binde ordentlich zuzuknallen und dann einigermaßen verantwortungslos durch den Tag zu stolpern. Und all jenen, denen diese „Feiertagsstimmung“ ein Unbehagen bereitet – und das sind bestimmt vermehrt Frauen – hinterherzugrölen. Heute früh fand ich bei einer Freundin auf Instagram folgenden Spruch: „Während Mama am Muttertag einen Gutschein zum Spülmaschine ausräumen bekommt, gibt es für Papa zum Vatertag einen gesetzlichen Feiertag mit „Herrentour“ und Freifahrtschein zum Pöbeln?“ Spitz, und doch auch treffend, oder?

Versteht mich bitte nicht falsch, ich habe nichts dagegen, dass sich Männer miteinander Zeiten oder Tage gönnen, unter sich sind, sich feiern, anschweigen, Football glotzen, Fahrrad fahren, klettern gehen, gemeinsam abhängen, auch mal ein Bier zischen – keine Ahnung, was Männer so anstellen… Doch braucht es dafür diesen einen Tag mit diesem doch einigermaßen unnötigen Brauchtum der Bierböllerwagen?

Zum Glück bietet das Feiertags-Potpourri des heutigen Donnerstags mehr 😉 Nehmen wir Christi Himmelfahrt. Vermutlich ein inhaltlich recht schwer zu greifender christlicher Feiertag. Wir wissen, dass es irgendwann mal Donnerstag ist, kurz vor Pfingsten. Die Bayerischen Schulkinder freuen sich spätestens jetzt auf die anstehenden zweiwöchigen Ferien. 🙂 40 Tage nach Ostern – ja, tatsächlich, so lange liegt Ostern schon zurück! – wird jedes Jahr Himmelfahrt gefeiert: Jesus hat sich nach der Auferstehung aus dem Totenreich (die an Ostern gefeiert wird) laut Überlieferung des neuen Testamentes 40 Tage seinen Jüngern gezeigt und ist dann zurück in den Himmel „gefahren“. Als Kind habe ich mich immer gefragt: wie ist Jesus denn „gefahren“? Mit einem Aufzug? Einem Rentierschlitten? Einem anderen Wolkengefährt? Bildliche Darstellungen arbeiten da tatsächlich gern mit einer Wolkendarstellung bzw. Lichteffekten.

Wenn mich Religionsschülerinnen oder Schüler fragten, versuchte ich davon zu erzählen, dass der Kreis mit Himmelfahrt wieder „rund wird“. Jesus wird zu Weihnachten von Gott dem Vater auf die Erde geschickt, um die Welt zu erlösen, die Menschen vom Bösen zu retten und letztlich kehrt er nach „getaner Arbeit“ zurück zum himmlischen Vater. Und damit die Menschen nicht allein sein, Gott bei ihnen bleibt, kommt an Pfingsten der heilige Geist auf die Erde. Zumeist endeten diese Gespräche in der Erklärung des christlichen Gottesbildes: ein Gott in drei Formen. Und als Religionspädagogin gestehe ich an dieser Stelle: das ist wirklich das schwierigste Gottesbild aller Weltreligionen 🙂

Feiertagspotpourri – zu guter Letzt: Heute ist auch Vatertag. Freilich hat mein Paps heute auch Glückwünsche und einen Anruf von mir erhalten. Wer mich kennt, weiß aber auch, dass ich es mit diesen „festgelegten Ehrentagen“ nicht so habe. Es braucht keinen Valentinstag, um Liebe zu feiern oder Muttertag, um die Spülmaschine auszuräumen, oder Vatertag, um Gebasteltes zu verschenken. Gegenseitiger Respekt beginnt nicht am Kindertag und hört auch nicht am internationalen Frauentag auf. Gegenseitiger Respekt, Wertschätzung geschieht bestenfalls alltäglich mit offenen Ohren und liebenden Augen. Dass das nicht immer leicht ist und auch nicht immer gelingt und auch nicht ohne Streit auskommt, das wisst ihr bestimmt so gut wie ich. Doch ich für meinen Teil bin im besten Sinne stehts bemüht 😉

Und doch lassen mich diese „festgelegten Ehrentage“ inne halten, besonders nachdenken. Und heute denke ich so an Väter. An die Väter, die ihr Kind in den Schlaf wiegen. An die übernächtigten Väter und die überarbeiteten, weil sie es für ihre Kinder schön haben wollen, finanzielle sicher, behütet. An die Väter, die sich Geschichten zum Einschlafen ausdenken und zum Gruseln am Lagerfeuer, die die Monster unterm Bett vertreiben und sich Monsterschminke im Gesicht verteilen lassen. An die Väter, die viel unterwegs sind und an die Freude, wenn sie nach Hause kommen. An die Väter, die nicht bei ihren Kindern leben können, dürfen, wollen, sollten. An die Väter, die ihr Kind schon zu Grabe getragen haben. An die Väter, die allein daheim sind oder alleinerziehend. An die Väter, die mit Vätern leben und dafür noch viel zu oft doof beäugt werden. An die Männer, die keine Väter sein können oder sein wollen.

Meine Gedanken wandern während ich schreibe und mein Blick wandert auch. Hinter meinem Schreibtisch ist eine große Fotowand, mit Naturbildern und Selfies, Zeitungsschnipseln, Kalender, den Hundemarken von Rumo und Bildern von mir lieben und wichtigen Menschen. Mein Blick bleibt hängen beim Bild mit meinen Eltern – das war letzten Juni, als sie mich nach Frankfurt zum Flughafen gefahren haben, bevor ich nach Neuseeland geflogen bin. Den beiden steht die Erschöpfung ein bisschen im Gesicht, doch es war für mich ein solch schöner Moment und ich bin froh, dass sie mir erlaubt haben, mit euch nun dieses Bild zu teilen. Und ich freue mich schon jetzt auf die nächsten gemeinsamen Momente, Bilder und Herzerinnerungen 🙂

I’m coming to your house…

Neben meinem Elternhaus wachsen Haselnussbüsche. Seit ich denken kann, stehen sie dort. Um in die Äste zu gelangen, stapfte ich als Kind regelmäßig über den Wäscheplatz hinter dem Haus, hangelte mich am Gartenzaun und dann die Bachmauer hinunter, ein kleiner beherzter Schritt und wenige Meter nach oben kraxeln und dann saß ich in den Zweigen der Büsche dort. Als kleine Susann liebte ich es, in diesen Sträuchern zu sitzen, über Gott und meine Welt Affalter nachzudenken, Nüsse zu knacken, mich zu verstecken, den Blättern zu lauschen und einfach zu sein. Manchmal kicherte ich, wenn die Nachbarn auf dem Gehweg vorbei liefen, ein Geräusch hörten, jedoch nicht verorten konnten, woher es kam. Es waren schöne, friedliche Momente – keine Ahnung, ob dort ab und an auch heute noch jemand sitzt. Empfehlen kann ich es auf jeden Fall!

Durch Zufall erinnerte ich mich vorletzten Sonntag wieder an diese schönen Momente. Ich besuchte mit Freunden die Generations Church International in Leipzig – kurz vor Ostern hatten sie mich schon mal mitgenommen. Schon beim ersten Besuch hatte mich die Ansprache noch einige Tage beschäftigt und ich hatte es sehr gemocht, denn es war mir schon lange nicht mehr so mit einem Gottesdienst ergangen. Auch die letzten Tage hängen mir die Gedanken der Andacht noch nach.

Es ging im Zachäus. Ein äußerlich kleiner Mann muss er gewesen sein und in Jericho hat er gelebt. Vor 2000 Jahren waren Teile Israels von den Römern besetzt, die wiederum Menschen einsetzten, um ihre Interessen zu vertreten und durchzusetzen. Manche Ämter konnte man sich sogar ersteigern. Und vielleicht hatte sich Zachäus seinen Job als Steuereintreiber und Zöllner auch ersteigert; vielleicht hatte er viele Münder zum Durchfüttern; vielleicht sehnte er sich auch nach finanzieller Sicherheit und das Geld hatte gelockt. Er hatte es zum Chef der Zöllner geschafft und galt somit als „Reicher“. Was die Geschichte auf jeden Fall erzählt, ist, dass die Bewohner Jerichos Zachäus nicht mochten. Und so war es nicht verwunderlich, dass er keinen guten Stand unter den Leuten hatte. Als Jesus eines Tages nach Jericho kommt, rennen die Menschenmengen auf die Straßen, um ihn zu sehen. Einmal diesen Jesus anschauen, vielleicht anfassen, austesten… wie auch immer: Zachäus wollte auch. Doch er war klein von Gestalt und ich stelle mir vor, dass ihn keiner nach vorne ließ. Er klettert deswegen in einen Maulbeerbusch und schaut von oben und wartet mit der Menge. Und als Jesus an dem Baum vorbei kommt, sieht er Zachäus und sagt sinngemäß: „Ich lade mich heute bei dir ein! I’m coming to your house today!“ Und Jesus kehrt ein und Zachäus verändert sein Leben… Soweit die Geschichte.

Was mir vor allem seit diesem Sonntag nachgeht, ist der Gedanke, den Pastor Taylor hatte: die Geschichte strotzt und sprüht von Gastfreundschaft! Ja, richtig, Gastfreundschaft. Alle bisher gehörten Predigten hingen sich an den gesellschaftlichen Themen auf: Arme und Reiche, Privilegierte und Gläubige, Diener der Besatzer und Besetzte – immer ging es in meinen Ohren um das Spaltende. Und Jesus kommt und kehrt den „Abtrünnigen“ um. Manchmal hingen sich die Predigten an der Verlorenheit Zachäus auf; dieser Mann, der so viel Sünde hat und ausgerechnet bei dem kehrt Jesus ein. Und in einem ganz merkwürdigen Moment forderte mich ein Predigender auf – und freilich auch alle anderen Zuhörenden – besonders die „Abtrünnigen“ zu besuchen. Das hatte damals einen fahlen Beigeschmack, denn es spaltete wieder. Dieses Mal in Rechtschaffene und Sünder. In keiner der Predigen über Zachäus konnte ich bisher andocken; doch Pastor Taylor gelang es, mich mit dem Gedanken der Gastfreundschaft zu catchen.

Was ist Gastfreundschaft für dich?

Ist Gastfreundschaft, die eigene Tür zu öffnen? Vielleicht für geladene Gäste? Ein bestimmter Tag, eine verabredete Zeit. Sich hübsch zu machen, die Wohnung auf Vordermann zu bringen, was Leckeres zu kochen bis sich der Tisch biegt, Blümchen zu kaufen und Duftspray einladend im Flur zu verdieseln? Und würde ich eigentlich jedem öffnen?

Ist Gastfreundschaft, Salat mitzubringen, wenn ich eingeladen werde? Oder Gastgeschenke? Und wer schenkt eigentlich wem? Oder kommen Gäste mit leeren Händen und gehen mit vollen? Empfängt der Gastgeber mit vollen Händen und steht am Ende mit leeren Händen da?

Ist Gastfreundschaft, Familie und Freunden zu sagen, sie könnten jederzeit klingeln? Oder anrufen? Und wäre ich ein guter gastfreundlicher Besucher, wenn ich dies auch täte?

Und ist Gastfreundschaft, wenn ich mich selbst einlade?

Zu Letzterem sagte Taylor an diesem Sonntag: ja. Und das beeindruckte mich sehr. Mein erster Impuls als „Guterzogene“: ich dränge mich nicht auf, ich lade mich selbst nicht ein, ich lasse den anderen ihren Raum, auf keinen Fall klingle ich ohne vorherige Ankündigung. Mein zweiter Impuls als „Erfahrene“: Menschen mögen Überraschungen nicht; erst recht keine Überraschungsbesucher. Sie könnten sich beschämt fühlen, weil die Kissen auf der Couch durcheinander liegen, das Klo nicht geputzt ist, der Kühlschrank leer und man selbst vielleicht in Jogginghose rumschlonzt.

Taylor sah in der Zachäus-Geschichte eine andere Seite: wenn wir den anderen sehen, vielleicht im Baum, auf der Treppe, bei der Arbeit oder beim Bäcker und wir sehen die Not, die Fragen, die Neugierde, die Sehnsucht des anderen, dann dürfen wir uns selbst einladen und fröhlich sagen: „Ich kehre heute bei dir ein und ich bestelle uns Pizza und ich höre dir zu und ich bin für dich da.“ Und vielleicht schreckt das Gegenüber zusammen und sagt, dass das Klo dreckig ist und die Küche voller altem Geschirr stehe und dann könnten wir sagen: „Alles klar, ich sehe deine Not. Passt morgen?“ „I’m coming to your house“ – und ich bringe mich mit und ich bin für dich da und ich höre dir zu und ich kann dir – nur, wenn du möchtest – auch davon erzählen, was mir Hoffnung schenkt, was mir Freude macht, welcher Glaube mein Herz stärkt und mein Leben frei macht. Und Taylor strahlte am Ende der Predigt und meinte sinngemäß: „Das ist Gastfreundschaft: sich selbst zu denen bringen, die es brauchen. Und vielleicht noch Steak mitbringen und meine Glaubensgeschichte.“

Und ich grinse, wenn ich mich erinnere, wie Taylor vor den Zuhörenden stand und sang: „I’m coming to your house today! Einer von euch hat unter seinem Stuhl einen blauen Klebezettel, sucht bitte.“ Ein paar Plätze weiter, fand eine junge Frau diesen Zettel und Taylor kündigte sich strahlend an: „I’m coming to your house today!“ Und ich sah, wie unangenehm ihr der Gedanke schien, dass er direkt nach dem Gottesdienst mit ihr mitgehen wöllte, vielleicht dachte sie an ihr dreckiges Bad – und ich sah, dass Taylor das auch verstand und er grinste, meinte, dass er Fleisch mitbrächte und sie gerne einen Tag ausmachen könnten 🙂

Als ich am Ausgang auf Taylor traf, kamen wir kurz ins Gespräch. Er weiß um mein Ringen im Glauben, mein Suchen, denn wir hatten schon an anderen Sonntagen miteinander gesprochen. Und er meinte lächelnd, dass er kurz gewünscht hätte, dass ich den blauen Zettel zöge. Ich lachte und sagte, er könne auch so gern mal bei mir zu Hause vorbeikommen – am liebsten verabredet und sehr gern auch in Begleitung seiner Frau.

Heute Abend am Schreibtisch sitzend freue ich mich auf diesen Besuch, diese gemeinsame Zeit, in der wir uns zuhören, begegnen, uns vielleicht von dem erzählen, was unser Herz stärkt und unser Leben frei macht. Vielleicht auch von Geschichten über Gastfreundschaft, Wäscheplätzen und Haselnusssträuchern.

Schritt um Schritt

Irgendwann habe ich mal ein Sprichwort aufgeschnappt, sinngemäß so: du kannst am Grashalm ziehen – davon wächst er auch nicht schneller. Heute Abend, als ich meine vorgezogenen Tomatenpflänzchen auf der Fensterbank in meinem Wohnzimmer, goß, kam mir wieder dieser Gedanke. Sie sind vergleichsweise mickrig für den Wonnemonat Mai und ich würde sie gern in die Länge ziehen, damit sie endlich raus in den Garten und in den guten Boden können. Doch noch sind sie nicht so weit und meine Ungeduld scheint ihrem Wachstum wenig zuträglich zu sein. „Es wird dauern, so lange es eben dauert“, skandiert eine leise Stimme in meinem Kopf, während ich diese Zeilen schreibe. „Es wird dauern und ändern kannst du nichts daran.“

Manches geht nur Schritt um Schritt. Manches in meinem Leben hätte ich gern schneller, unbedingt jetzt, im Moment des Verlangens und Begehrens. So geht es mir ab und an, wenn ich auf eine Onlinebestellung warte – dieses gute Buch und die Fortsetzung will ich unbedingt heute anfangen! Oder wenn ich mit gutem Hunger Essen koche – dann zieht sich jede Minute, in denen die Spaghetti nicht weich werden! Oder wenn ich auf einen Rückruf warte, auf eine Entscheidung anderer, das Gefühl zieht sich nicht nur durch meine privaten Momente, auch im Arbeitskontext erlebe ich mich, wie ich gern „am Grashalm ziehen würde“.

Im März bin ich beim Mammutmarsch in Leipzig an den Start gegangen. Die Anmeldung dazu war auch eine schnelle Bauchentscheidung – im Nachgang bin ich froh, dass ich noch eine Freundin bequatscht hatte, mitzumachen. 30km lagen an diesem Tag vor mir, freilich hatte ich ein wenig trainiert und mich um neue Schuhe mit frischen Einlagen gekümmert. Die ersten Schritte liefen wie am Schnürchen, die erste Verpflegungsstation im leichten Regen schmälerte meine Freude keineswegs. Doch als die erste Blase am Fuß war, die ersten Kniezipperlein eintraten, sich die Strecke zog, da waren die Schritte plötzlich nicht mehr federnd, nicht mehr flockig. Zuletzt – das Ziel war in Sicht, doch eine kleine Runde durch den Park musste noch absolviert werden – habe ich bei fast jedem Schritt geschimpft. „Wer hatte eigentlich diese Idee!???“ Mit Hilfe von Karo habe ich es ins Ziel geschafft und das Gefühl war der Knaller! Diesen Marsch geschafft zu haben, mit allem was dazu gehört und diese Freude am Ende trieben mir Tränchen des Glücks in die Augen! (Und, was soll ich sagen: trotz wirklich derber Blasen am Fuß habe ich mich tags darauf gleich für den Marsch 2026 angemeldet 😉 )

Im Nachgang wurde mir etwas anderes bedeutsam: die Strecke war für mich machbar, weil ich ganz oft nur an den nächsten Schritt gedacht habe. Nur an den einen nächsten, der in diesem Atemzug dran war. Nicht an die vielen Tausende, die auch noch folgend müssten, um ins Ziel zu kommen. Nur an den Schritt jetzt, atmen, Schritt, atmen, Schritt. So hat es Beppo bei Momo auch gemacht; so habe ich es geschafft. Hätte ich permanent an alle Schritte und die ganze Strecke gedacht, wäre es mir wahrscheinlich nicht gelungen. Der Frust hätte mich bestimmt an der nächsten Haltestelle in den Bus einsteigen lassen!

Und ein zweites: ich bin noch heute dankbar für die Spitzenweggefährtin. Manche Wege muss ich eben nicht allein gehen; bei manchen Wegen ist es gut, jemanden an meiner Seite zu haben.

Und das wünsche ich dir auch. In den Momenten, in denen Schritte zäh sind, Strecken unendlich, Motivation sinkt und der ungeduldige Wunsch, am Grashalm zu zerren, steigt: atme und im besten Fall: lass dich von deiner Weggefährtin mal fest drücken. Und dann setz den nächsten Schritt und atme wieder und dann der nächste Schritt.

Im März hatte mich dann endgültig das Lauffieber gepackt und ich laufe nun im Mai für einen guten Zweck: für die DMSG – die deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft. 100km für den guten Zweck – die Erforschung dieser Krankheit mit tausend Gesichtern. In meinem Umfeld kenne ich von der Krankheit Betroffene und Angehörige und diese Ohnmacht, die in mir entsteht, möchte ich in Energie umwandeln. Ich laufe und du unterstützt mich: durch Spenden oder den Link bzw. die Aktion zu teilen. Ursprünglich wollte ich große Strecken laufen – das Leben kam dazwischen und ich mache es, wie oben beschrieben: Schritt um Schritt kleine Strecken, atmen dazwischen und dann die nächste Strecke. Bis zum Monatsende sollen es so mindestens 100km sein! Ich freue mich über deine Unterstützung: https://www.themay50k.de/s/11039/12759

Tausend Dank schon im Voraus! 🙂

Auf den ersten Strecken sind auch schon ein paar hübsche Bilder entstanden, die will ich dir nicht vorenthalten. In diesem Sinne wünsche ich dir gute Schritte durch die neue Woche und liebste Weggefährten 🙂

 

Selbstgespräche 1

Ich sitze auf der Bank am Rande dieses Abgrunds. Die Lehne ist breit und die Bank aus wunderbarem dunklem Holz. Dieser Platz ist mir bekannt. Schon sehr lange bin ich immer wieder hier, sitze und starre auf das, was vor mir liegt. Oder stehe an der Kante und wage einen Blick in die Tiefe – doch mit Höhe habe ich es nicht so. Dann wird mir meistens schwummrig und die Beine geben nach. So wähle ich fast immer den Platz auf der Holzbank.

Der Platz rechts ist für mich frei gehalten. Nicht, dass ich gerne hier säße und den Abgrund genießen würde. Doch etwas drängt mich immer wieder, diesen Ort aufzusuchen.

Denn dann sitzt sie nicht alleine auf der Bank.

Das kleine Mädchen links neben mir. Ihre Beine baumeln von der Holzbank und ab und an berühren ihre Fußspitzen den Boden. Sie trägt lange Strumpfhosen und einen gestrickten Pullover. Die kurzgeschnittenen, dunklen Haare fallen ihr in kleinen Locken ins Gesicht. Ihre dunkelbraunen Augen strahlen voller Liebe und Neugier.

Wenn ich sie besuche, redet sie nicht viel. Häufig sitzen wir schweigend nebeneinander und schauen gemeinsam in Richtung Abgrund. Fast immer lege ich meinen Arm um sie und sie schmiegt sich an mich. Manchmal darf ich sie etwas fragen.

Einmal hat sie mir verraten, wie groß ihre Lust ist, in die Welt zu ziehen, ein Pony zu haben, so schnell zu sein im Sportunterricht wie die anderen. Sich zu verkleiden und tagelang in der Höhle bei Omi auf der Couch zu bleiben und Märchen zu hören. Wenn sie könnte, würde sie Krankenhäuser abschaffen, dann wäre ihr Opa häufiger zu Hause. Und sie würde ihren Eltern eine Arbeit schenken, wo man nicht so viel unterwegs ist und mehr Zeit hat zum Spielen und Geschichten vorlesen und Pilze sammeln. Und ihr Bruder wäre endlich nicht mehr hinter diesen gelben Glasscheiben in diesem furchtbaren Bett, weil er diese doofe Krankheit hat – er wäre zu Hause und sie würden sich gemeinsam in den Haselnusssträuchern verstecken. Und vielleicht ein klein wenig die Nachbarn ärgern. Sie würden sich im Indianerzelt verkriechen und gemeinsam die Hasen füttern.

Schöne Träume hat sie, wunderbare Wünsche, ganz viel Sehnsucht. Und dann verfällt sie wieder in Schweigen und ihr Blick wandert zurück zum Abgrund. Wie lang sie schon hier ist, frage ich sie. Sie schüttelt den Kopf. Sie weiß es nicht.

Als ich sie einmal frage, was sie hier mache, stutzt sie, rutscht ein Stück von mir weg und schaut mich durchdringend an. „Willst du mich veräppeln? Das weißt du doch!“

Ich schweige eine Weile. „Nein, das weiß ich nicht“, flüstere ich. „Ich mag es nicht, hier zu sitzen und ich finde diesen Ort wahnsinnig trostlos. Und ich habe keinen Schimmer, warum du hier auf dieser Bank sitzt und den Abgrund anstarrst, anstatt in die Welt zu flitzen und das Bunte zu sammeln! Ich habe keinen Dunst, warum ich immer und immer und immer wieder hierherkomme, dich besuche und sich nichts, wirklich überhaupt nichts, verändert!“

„Das stimmt nicht“, antwortet sie leise. „Wenn du hier sitzt, mit mir auf dieser Bank, verändert sich für mich alles.“

Sie senkt ihren Kopf und ich sehe, wie Tränen langsam aus ihren Augen über ihre kleinen Wangen kullern und auf ihren Pullover tropfen. Sie schluchzt nicht, sie gibt keinen Laut von sich. Sie ist so erschreckend still und weint immer mehr. Vorsichtig lege ich meinen Arm wieder um sie und rutsche an sie heran, bis wir wieder ganz dicht nebeneinander sitzen. Nach einigen tiefen Atemzügen fasse ich Mut und sage: „Es tut mir unglaublich leid, doch ich habe wirklich keine Ahnung. Erklärst du mir bitte, was los ist?“

„Heute nicht. Heute kann ich nicht. Kommst du morgen wieder?“

Ich brauche nichts darauf zu sagen, ich nicke stumm. Natürlich werde ich wieder kommen. Ich werde so lange wiederkommen, bis sie anfängt, loszuflitzen und das Bunte zu sammeln.

…das Gute am Verschwinden hindern…

Das neue Jahr ist ein paar Atemzüge alt und der erste Abend klopft leise ans Fenster. Die Sonne verkrümelt sich hinter violett-pink-blauen Wolken, ein paar Verwirrte böllern auf der Straße fast wie zum Silvesterabend. Vielleicht haben sie einfach so viel Knallerwahnsinn übrig, dass er noch ein paar Tage reicht – wundern täte mich das in diesem Kleinstädtchen nicht.

Als ich heute morgen mit meiner Thermoskanne, einer Dose Äpfel und Nüsse und meinem Hörbuch gerüstet meine Neujahrswanderung begann, stockte mir spätestens auf dem Aldi-Parkplatz um die Ecke der Atem: sooooo viel Müll, leere Raketenbatterien so weit das Auge reichte, gespickt mit Raketenstöcken, leeren Fröschen und ausgebrannten Knülpfen, die nicht mehr zu identifizieren gingen. Ein Gedanke schlüpfte mir durch den Kopf: Wer nachts böllert, sollte auch morgens aufräumen 🙂 Das wäre was! Ein Lächeln zauberte mir das Gedanke ins Gesicht als ich in die Schachtstraße einbog und vor mir ein kleiner Junge mit einem riesigen Besen stand. Ich wünschte ihm ein gutes neues Jahr, er grinste zurück und kehrte fleißig weiter den von alten Böllern übersäten Gehweg. „Geht doch“, dachte ich verschmitzt und stiefelte weiter.

Mein Altjahresabend – ja, ich mag dieses Wort – war leise. Nachdem ich ein wenig geschrieben und aufgeräumt hatte, rang ich mit mir, ob ich zur Andacht der Kirchgemeinde gehen sollte. Einerseits hatte ich Sehnsucht nach einem „besinnlichen Ausklang“: also gehen. Andererseits wollte ich mich nicht mit einem Ärger aus dem Jahr verabschieden, den mir manches Mal Andachten oder Gottesdienste bereiten: also nicht hingehen. Den Tag über war ich schon allein daheim, vielleicht könnte ich so noch ein wenig Gemeinschaft erleben: also gehen. Doch so richtig Lust, mich dann durch die Böllerei nach Hause „durchzuschlagen“, hatte ich auch nicht: also nicht gehen. Meine Sehnsucht nach Ausklang gewann letztlich und ich schlang mir den dicken Mantel um und ging zur Kirche. Fünf Minuten vor Beginn der Andacht stand ich vor verschlossener Tür – gibt’s doch nicht: da raffe ich mich auf und dann das. Neben mir ein älterer Herr, der auch die Türklinke drücken wollte; dann wir beide rätselnd vor dem Schaukasten. Nein, wir waren zur richtigen Zeit am richtigen Ort. Wir kamen ein wenig ins Gespräch: er kam aus Grünau, sei allein daheim, wollte ein wenig Gemeinschaft zum letzten Abend des Jahres. Ich schmunzle, finde mich so wieder in seinen Gedanken und in diesem Moment spricht uns ein Paar an und lotst uns zum Gemeindehaus, denn dort sei die Andacht. Erleichtert rutschen wir beide in die letzte Reihe des hell erleuchteten und dicht besetzten Gemeinderaumes.

Warm ist es und als ich den Mantel ablege, ärgere ich mich, dass ich mir nichts besseres angezogen hatte. In der kalten Kirche wäre meine Jogginghose mit Sweatshirt wahrscheinlich niemandem aufgefallen – hier steche ich unter den chic gekleideten Menschen hervor 🙂 Naja, was solls, bin halt hier, wie ich bin, denke ich noch, als das erste Lied beginnt.

Es sind warme Minuten, in denen wir altbekannte Lieder singen, ein Psalm und eine Lesung aus dem Alten Testament hören, die ich innerlich fast mitsprechen kann. Ich denke an meine Omi, die das auch locker geschafft hätte und beim Gebet immer ein klein wenig „vornweg“ war. Ich hab sie immer hören können, egal wo sie in der Affalterer Kirche saß. Ich denke an das, was in diesem Jahr war, an das Gelungene und das Verlorene, an das Gefundene und das Verdorrte, an die schönen, fröhlichen, glücklichen Momente mit meinen Lieben, denke an das, was bleiben soll wie es ist, an das was wachsen darf und an das, was das alte Jahr behalten kann. Meine Gedanken schweifen ab, mein Blick wandert über die Menschen um mich, das gebastelte Kreuz in der Ecke, den Weihnachtsstern ganz dicht über meinem Kopf.

Das „Jahresmotto“ 2025 ist mir schon bekannt: „Prüft alles, und behaltet das Gute.“ Mit pädagogischen Fachkräften habe ich diesen Vers schon bedacht, versucht zu erfassen und für einen Gottesdienst im Januar begreifbar zu machen. Auch die letzten Tage haben mich in den Reflexionsfragen der Rauhnächte immer wieder an Punkte des Über-Prüfens gebracht: Was tut mir gut? Was macht mich glücklich? Was tut mir nicht gut und wovon sollte ich mich verabschieden? Woran erkenne ich beides? Und wie geht eigentlich Loslassen? … Vieles habe ich auf den Prüfstand gestellt, auch im hinter mir liegenden Jahr. Nicht zuletzt die Reise nach Neuseeland war ein inneres Überprüfen, Aufräumen, Loslassen und der Versuch, das Gute zu halten. In der Andacht wird der Satz nochmal anders gesagt: „Prüft alles auf Tauglichkeit, und hindert das Gute am Verschwinden.“ Ich stutze inmitten der Worte des Pfarrers. …hindert das Gute am Verschwinden. Wie schön das klingt und wie nah das bei jedem landen kann. Nicht nur bei den Menschen dieser Andacht, nicht nur bei den Mitgliedern der evangelischen Kirche. Das Gute am Verschwinden zu hindern, dazu gehört für mich Mut und Kraft. Mut, für das Gute einzustehen auch in Zeiten der Unsicherheiten und Sorgen, der Angst und Not. Mut, das Gute zu halten, zu behalten, auch hoch-zu-halten. Geduld in Zeiten, die schnell sind und laut und in denen so manches verschwindet. Was taugt dann? Was trägt mich? Was schenkt mir Halt? Wer soll an meiner Seite sein? Wen trage ich? Wer schenkt mir Halt und wem ich?

Auf der Neujahrswanderung hatte ich diese Fragen auch in der Tasche; wie Wegbegleiter und Zeichensetzer auf meiner Runde.

Und vielleicht kann das ein roter Faden 2025 sein: „das Gute am Verschwinden zu hindern“?

Was denkst du?

Favorite character

Die Vorweihnachtszeit ist für mich auch eine Zeit des Wintersports- und Filmgenusses. Neben den geliebten Biathlonrennen laufen auf meinem Fernseher endlos schöne Wiederholungen, die mich nie müde machen, die ich in Großteilen mitsprechen kann, in denen ich immer noch mitfiebere und die mich ein Stück weit „umarmen“. Für mich am liebsten neben den beiden Trilogien „Herr der Ringe“ und „Der Hobbit“: „Mister Magoriums Wunderladen“, „Harry Potter“ (freilich alle Teile) und „Die Tribute von Panem“. Manchmal lunzen die alten Star Wars-Filme durch, schwarz-weiße Filmklassiker von Agatha Christie oder auch die berühmten drei Haselnüsse. Doch am liebsten tauche ich noch immer in Mittelerde ab 🙂

In diesen geliebten Filmen habe ich immer auch wieder einen „Lieblingscharakter“. Eine Figur, die mich in ihren Bann zieht. Das kann an der Geschichte liegen oder einfach, dass der Schauspieler in meinen Augen die Rolle so gut ausfüllt. Bei „Harry Potter“ ist das beispielsweise Severus Snape für mich. Und in den „Tributen“ Peeta Mellark.

Vor vielen Jahren war die Vorweihnachtszeit für mich auch immer Probenzeit für Krippenspiele. Schon als kleine Knirpsin durfte ich entweder im Engelreigen mitlaufen oder mit meinen Blockflötenkünsten als Hirtenkind überzeugen. Später dann meist Verkündigungsengel, einmal auch Elisabeth, doch meistens „und siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird“.

Ich erinnere mich, dass ich als Jugendliche und junge Erwachsene EINE Rolle nicht haben wollte: Hirtin. Ich wollte nicht „bei den Hürden“ hocken, die Schafe weiden, mir den Hintern in der Nacht abfrieren und dann von den Engeln überrumpelt werden. In den meisten Krippenspielen waren das ziemlich trostlose, triste, ermattete Hirten-Rollen, die erst lange Mono- oder Dialoge über die Ungerechtigkeiten der Welt hielten, dann erleuchtet wurden und zum Stall loswackelten. Da gab es auch super selten Zweifler. Die meisten Hirtenrollen waren sauschnell überzeugt von den Engeln und rannten los zum Stall. Mit allem bepackt, was sie verschenken konnten. Alle Tristesse und Trostlosigkeit schien vergessen oder verdrängt. Die meisten sagten dann auch an der Krippe nix mehr, knieten nieder. Vorhang fiel.

Erst Jahre später, als ich schon nicht mehr in Krippenspielen mitspielte oder sie anleitete, tauchten die Hirten wieder in meinem Weihnachtsbild auf. Und dieses Mal blieben sie.

Ich kann nicht sagen, wann sich das konkret veränderte, doch sie wurden mir die Nahbarsten aller Figuren der Weihnachtsgeschichte. Meine „Lieblingsfiguren“. Wie sie da hocken, zappenduster ist es um sie und in ihnen, voller Schiss, dass eines der Schafe verloren geht, die ihnen nicht mal selbst gehören. Ein Knochenjob, auf den wolligen Besitz anderer aufzupassen. Glück, wenn es eine trockene Nacht blieb und das Feuer hielt und sich kein Fies-Troll anschlich, um zu stehlen oder ein Schaf zu reißen.

Für mich müssen sie heute keine Mono- oder Dialoge mehr halten. Ich fühle ihre Sehnsucht nach Gerechtigkeit, nach fairem, bezahlbaren Leben, nach Wärme. Ich fühle ihre Unsicherheit und Angst. Ich fühle ihr Sehnen nach mehr, nach Licht, nach Ankommen und Sein-dürfen. Es fällt mir leicht, mich neben sie zu hocken und in das Feuer zu glotzen und die Gedanken mit ihnen kreisen zu lassen… und kein Ende in Sicht.

Und dann dieser Engel. Oder auch mehrere. Völlig egal. Da taucht Licht am Ende des Tunnels auf. Da gibt es die Zusage „Ihr müsst euch nicht mehr fürchten“. Da gibt es das himmlische Versprechen auf Ankommen und Sein-dürfen. Da eröffnet sich eine neue Perspektive in dieser bitterkalten Tristesse.

Und da fühle ich auf einmal auch Verständnis für das Loswackeln der Hirten und ich staune über ihren Mut.

Manchmal frage ich mich: wäre ich losgewackelt mit allem, was ich zu verschenken habe? Hätte ich das gewagt? Wäre ich das Risiko eingegangen? Hätte ich die „sichere Bank des Schafehütens“ verlassen? Wäre ich aus dem Dreck, den ich kenne, aufgestanden? Immerhin hätte ich doch gewusst, woran ich bin, wenn ich bei den Schafen hocken bleibe. Freilich wäre es nicht schön gewesen, zu bleiben, aber doch gewohnt. Da weiß ich, was ich hab.

Und dann auf der anderen Seite dieser Mut. Die Tristesse hinter sich zu lassen, aus dem bitterkalten Dunkel aufzustehen, alles zu packen und loszugehen. Obwohl ich überhaupt nicht weiß, wie das sein wird. Und auch den Weg nicht so richtig kenne, erst recht nicht das Ziel. Ob das stimmt, was versprochen wurde. Ob ich wirklich ankommen darf und sein… Und dann die Zweifel auf dem Weg: hab ich mich nicht getäuscht? War da wirklich dieses Licht am Ende des Tunnels? Oder war es nur ein Traum, ein Wunsch? Schritt für Schritt weitergehen, zögern, vielleicht stehen bleiben, grübeln, das Risiko bedenken, das erfüllte Herz fühlen. Nächster Schritt.

Und dann ankommen, sein-dürfen, überwältigt sein. Bewegt, dankbar, neu erfüllt. „Fürchtet euch nicht, denn ich habe eine Botschaft, die alle mit großer Freude erfüllen wird“, sagt der Engel zu den Hirten. „Fürchtet euch nicht! Denn siehe ich verkündige euch große Freude, die dem ganzen Volk widerfahren soll.“

Damit löst sich die missliche Lage der Hirten nicht auf, sie müssen trotzdem irgendwann zurück zu der Herde, zum wolligen Besitz der anderen, auf das bitterkalte Feld. In dieser Nacht gab es für sie keinen großen Paukenschlag, der die Weltpolitik verändert und die Ungerechtigkeiten der Gesellschaft weggefegt hätte. Auch wenn das vielleicht in einem Hollywood-Blockbuster so erzählt worden wäre.

Was die meisten Krippenspiele nicht mehr erzählen: nach dem Ankommen im Stall und dem Verweilen im Stroh ging es mit hoher Wahrscheinlichkeit zurück. Doch stelle ich mir die Schritte der Hirten leichter vor, die Herzen erfüllter. Mit einer Hoffnung, die sie vorher nicht hatten und einem Licht in sich – in diesem Zappenduster des Hirtenseins.

Und da hocke ich mich wieder zu ihnen. Glotze mit ihnen wieder ins Feuer. Lasse die Gedanken kreisen und fühle mit den Hirten diese neue, wunderlichte Weihnachts-Hoffnung im Herzen.

Und wenn du magst: da ist ein Platz für dich am Feuer 🙂 !

Change-Management

Während ich den Titel dieses Beitrages tippe, sehe ich direkt das Gesicht meiner Omi vor mir. Wie sie leicht die Nase rümpft und über den „nei-mudschen Rotz“ den Kopf schüttelt. Vielleicht hätte sie auch bedauert, dass die deutsche Sprache immer wieder mit englischen Begriffen „angereichert“, „aufgepimpt“, „neu-modischer“ gemacht wird. Und an der Stelle wäre ich ihr wahrscheinlich zustimmend zur Seite gesprungen.

Mein inneres Bild wechselt von der Küche meiner Omi in die Schule nach Borna. Ich sehe meine Religionsklassen vor mir sitzen, die sich immer wieder mit den dunkelgrünen, „alten“ Luther-Bibeln rumärgern. Nun, das müssen sie auch, weil ich es ganz oft liebe, mit ihnen in diese sprachlichen Herausforderungen einzutauchen. Zu fragen, was diese altbekannten und oft ungewohnten Worte bedeuten könnte. Zu entdecken, welche Tiefe hinter ihnen stecken kann, welche Bilder sie eröffnen. Und wenn wir gar nicht weiterkommen und mich 28 fragende Augenpaare anstarren, dann „zaubere“ ich auch gern die Volx-Bibeln aus dem Schrank. Da herrscht dann erst großes Aufatmen, denn die Sprache scheint leichter zu greifen. Doch sehr oft wird der Text mit seinen Ebenen trotzdem nicht einfacher… doch das ist eine andere Geschichte.

Nochmals wechselt mein Bild zu einem Gespräch mit einer Freundin vor ein paar Tagen. Sie stellt mir unvermittelt eine Frage: „Welche Überschrift würde dein Jahr 2024 haben?“ Binnen Sekundenbruchteilen rasen innere Bilder durch mein Gehirn. Ein unzensierter Jahresrückblick… und dann bleibe ich hängen… Veränderungen in diesem Jahr. Es fühlt sich an als hätte sich alles und nichts verändert.

Menschen haben sich verabschiedet, andere habe ich bewusst ziehen lassen, neue sind aufgetaucht. Manche Dinge habe ich verloren, anderes bewusst verabschiedet, vieles ungeplant (wieder-)gefunden, anderes neu gekauft. Das Studium begann, eine Sportgruppe tauchte auf, zum Jahresende verabschiede ich mich aus dem Verlag.

Ich sehe mich im Renovierungschaos meiner Wohnung, im Kabarett, im Garten, im Büro, in Beratungssituationen, im Therapiesessel, im Wartezimmer der Augenärztin, im Camper auf der neuseeländischen Südinsel, im Flieger, im Auto, auf dem Rad, im und am See, im Wald, im Schnee. Sehe mich weinend, lachend, verzweifelt, taub, laut, leise, frei, entspannt. Sehe mich mit nackten Füßen und Sand in den Schuh’n, in nächtlichem Frost und lähmender Sommerhitze… und sehe durch die Frage nach der „Jahresüberschrift“ auch in jedem dieser Bilder „Veränderung“.

Und freilich werden so manche jetzt nickend und weise denken: so ist das Leben, anhaltende Veränderung. An der Stelle stimme ich auch zu und doch sind manche Jahre im Rückblick für mich stabiler als andere. Dieses Jahr war für mich sehr oft eine wirbelnde Veränderung und die Herausforderung, damit gelungen umzugehen. Gut aus den Veränderungen zu gehen, die ich hinnehmen musste. Den Kopf oben zu halten, zu fallen, aufzustehen und weiterzugehen. Und manch englisch angehauchter Mensch spräche dabei vielleicht von „Change-Management“. In meinem Kontext: die Kunst, mit Veränderungen umzugehen. Und das durfte und konnte ich in diesem Jahr üben.

Dazu gehört für mich auch, manches bewusst in meinem Leben „willkommen zu heißen“ und manches bewusst zu verabschieden. Zu Letzterem eben auch meine Entscheidung, nach mehr als 12 Jahren den Verlag „Phonus“ zu verlassen. Ich gehe mit innerem Frieden, mit großem Stolz auf all das, was wir gemeinsam in diesen Jahren geschafft haben, mit tiefer Dankbarkeit für alle Freundschaft unter uns, für alles Vertrauen, für manchen Zoff, für all das was ich lernen konnte. Tiefe Dankbarkeit für Begegnungen, Veranstaltungen, für alles gemeinsame Werkeln und Lachen… und auch jetzt – im Moment des Schreibens – blitzen mir tausendundein Bild durch den Kopf… So gehe ich mit einem weinenden Auge aber auch mit einem Lachen im Gesicht. Meine „Kunst“, mit Veränderungen umzugehen 🙂

Besonders stolz bin ich an dieser Stelle auf mein Buch. Manches Mal, wenn ich es in Händen halte, kann ich kaum glauben, dass ich das geschrieben habe 🙂 Wer es von euch noch nicht hat oder mal stöbern will, welch herrliche Sachen wir im Verlag noch gemacht haben, dem sei dieser Link ans Herz gelegt:

https://www.phonus-verlag.de/

Und wer direkt einen Bestellwunsch hat, der am besten noch vor Weihnachten da sein soll, kann mir gern über die Kommentarfunktion dieser Seite schreiben.

Ich wünsche dir einen adventlich-lichterfrohen Abend! Und ach, eh ich es vergesse: „Wie lautet deine Jahresüberschrift 2024?“

Eine Geschichte für dich

Wie jedes Jahr sollte auch in diesem Jahr die sechste Klasse des weihnachtliche Krippenspiel aufführen. Lehrer Larssen begann schon Mitte November mit den Vorbereitungen und Besetzungen der verschiedenen Rollen. Thomas sollte den Josef spielen und Tina die Maria. Die Rolle des Wirtes der Herberge wollte niemand spielen. Da hatte Thomas den rettenden Einfall: sein kleiner Bruder Tim könnte die Rolle übernehmen. Tim wollte auch gern den Wirt spielen. Er müsse nur lernen, im richtigen Augenblick zu sagen, dass in der Herberge kein Zimmer frei sei. So bekam Tim eine Schürze und eine blaue Mütze und die Proben konnten beginnen.

Am Tag der Krippenspielaufführung war in der Schule Hektik und Festtagsstimmung. Die Vorstellung begann: Josef und Maria betraten die Bühne, schleppten sich zur Herberge und klopften. Die Fensterläden gingen auf und Tim schaute unter seiner großen blauen Wirtsmütze heraus. „Habt ihr ein Zimmer frei?“, fragte Josef mit müder Stimme.

„Ja, gerne“, sagte Tim freundlich.

Schweigen im Saal. Und auf der Bühne. Josef und Maria blickten hilflos.

„Ich glaube, sie lügen“, meinte Josef. Aber die Antwort aus der Herberge war: „Nein!“

Hinter der Bühne herrschte große Aufregung. Die anderen Schauspieler waren richtig sauer, aber Tim erklärte dem Lehrer, dass Josef eine so traurige Stimme gehabt habe, da hätte er doch nicht einfach „nein“ sagen können. Zuhause hätten sie auch immer Platz, notfalls auf der Luftmatratze. Herr Larssen versuchte Tim zu erklären, dass die Geschichte genauso gespielt werden müsse, wie sie aufgeschrieben sei und Tim versprach, bei der nächsten Aufführung ein richtig böser Wirt zu sein.

Die zweite Aufführung fand im Gemeindehaus statt. Und alle waren noch aufgeregter. Der Saal war bis auf den letzten Platz besetzt. Das heilige Paar erschien auf der Bühne und wanderte zögerlich auf die Herberge zu. Josef klopfte an die Läden. Alles blieb still. Josef klopfte erneut, Maria fing an zu schluchzen. Schließlich rief Josef laut: „Hier ist wohl kein Zimmer mehr frei?“

In die Stille, in der man eine Nadel hätte fallen hören können, ertönte ein ganz leises: „Doch!“

Für die dritte und letzte Aufführung wurde Tim seiner Rolle als böser Wirt enthoben. Er bekam Flügel und wurde zu den Engeln versetzt. Dort war sein „Hallelujah“ unüberhörbar und es bestand kein Zweifel mehr daran, dass er nun auf dem richtigen Platz war.

(„Der Andere Advent“, Verlag „Andere Zeiten“)

Post für…

Heute gibt’s für dich erst eine Geschichte und dann eine Überraschung…

„Post für mich?“, fragt er durch die Luke. Nur wer ihn besser kennt, sieht die Anspannung in seinem Gesicht, die zusammengekniffenen Augen, das leichte Zittern der Lippen. Sein weißes Haar ist noch ungekämmt. Er geht immer nach dem Aufstehen gleich fragen. Aus dem abgetragenen Bademantel mit den verblichenen blauen Streifen schauen dünne Beine heraus, die Haut wie Pergament.

„Warten Sie“, ruft Susanne. „Ich schaue gleich nach, Herr Ullrich!“ Sie geht zu den Postfächern und schaut. „Heute nicht, Herr Ullrich.“ Würdest du danebenstehen und dieses „Heute nicht“ hören, du dächtest sofort, Herr Ullrich bekommt sonst jeden Tag Post. Aber dem ist nicht so. Herr Ullrich bekommt nie Post. Seit vierzehn Jahren wohnt er hier im Pflegeheim und seitdem hatte er noch keine Post.

Aber jeden Tag geht er zur Luke und fragt. Und dafür, wie Susanne das „Heute“ von „Heute nicht“ ausspricht, dafür hat er sie so gern. (von Doris Bewernitz in „Der Andere Advent“)

Und jetzt die kleine Überraschung für dich. Ich weiß nicht, ob es dir auch so geht: ich liebe es, Post zu bekommen. Dabei rede ich nicht von Rechnungen, Mahnungen, unpersönlicher Werbesendungen. Nein, ich denke an Urlaubspostkarten, Geburtstagsgrüße und selbstgeschriebene Briefe. Immer, wenn ich davon etwas aus meinem Briefkasten fische, springt mein Herz doppelt vor Freude. Da hat sich jemand die Mühe gemacht und die Zeit genommen und ganz old school einen Stift zur Hand genommen, eine Karte für mich ausgesucht oder Papier. Gedacht, geschrieben, eingetütet und abgeschickt. Ich liebs 🙂 .

Und diese Freude möchte ich im Advent ein wenig verschicken. Und so kannst du mich unterstützen: du kennst jemanden, der lange keine Post bekommen hat und unbedingt mal wieder Freude am Briefkasten haben sollte? Oder du selbst wünschst dir, mal wieder Handgeschrieben Post aus dem Briefkasten zu fischen? Dann schreib mir – entweder bei Whatsapp, wenn du meine Nummer hast, oder eine Mail an info@susann-finsterbusch.de. Den ersten 15 Menschen, deren Adresse ich bekomme, sende ich im Advent Post. Eine Bitte: jeder nur eine Adresse – entweder deine eigene oder die von jemandem, den du glücklich machen möchtest 😉

Vielleicht inspiriere ich dich ja, auch selbst mal wieder schöne Post zu verschicken? Dann wünsche ich dir viel Freude dabei! Liebste Grüße und einen fröhlichen ersten Advent wünsche ich dir!

PS: nach der kleinen Aktion lösche ich selbstverständlich die Adressen.

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