Der Tee dampft neben mir, an diesem Herbstabend. Es ist meine „Bunte-Wiese-Mischung“ und ich darf feststellen: gar nicht mal so übel meine erste eigene Teemischung. Den Sommer über habe ich gesammelt, getrocknet, zerkleinert. Vor ein paar Tagen dann gemischt und abgepackt. Jetzt genieße MEIN Heißgetränk.
Überhaupt war es ein Jahr voll großer Ernte. Gefühlt gab es tausend Kilo von Mirabellen und Tomaten, Johannisbeeren und Kartoffeln, Pflaumen und Bohnen. Ich habe gefühlte Tonnen Marmelade und Kompott gekocht, saures Gemüse und literweise Tomatensauce. Grünes Tomatenchutney und schwarze Nüsse – beides gelungene Neuversuche! Die meisten Wochen kam ich mir vor, wie ein kleines Kräutermütterchen aus den Märchen, gerüstet für die nächsten Jahre 🙂 Und übrigens: wenn ich jede Woche ein Glas Apfelmus essen würde, hätte ich bis zum Frühling 2027 genug 😉
Inzwischen bin ich erleichtert, dass der Garten nun nur noch „die letzten Dinge“ abverlangt. Bäume schneiden, letzte Beete umgraben, die Wasserfässer leeren, die Pumpe abklemmen. Ich freue mich auf den Moment des „Winterdichtmachens“. Jedes Jahr ein Durchatmen und Ausruhen – um dann spätestens im Februar mit den ersten warmen Sonnenstrahlen die neuen Anbaupläne zu schmieden. Auch wenn ich dieses Jahr feststelle, dass es nächstes Jahr keine 30 Tomatenpflanzen geben wird 🙂 – wer weiß, wie ich im Frühling dazu stehe. Ich schmunzle bei dem Gedanken; ein wenig kenne ich mich ja schon.
Der Herbst ist für mich auch in diesem Jahr wieder eine Zeit des Aufatmens nach dem langen Sommer – ich weiß, dass mir da viele nicht zustimmen. All jene, die sich nach Sonne und Wärme von außen sehnen, können wahrscheinlich schwer nachvollziehen, dass jetzt meine Temperaturen beginnen. Mein Kopf ist nicht mehr gelähmt von zu viel Hitze und zu langen Tagen. Es fällt mir leichter, zu Sortieren, mich zu bewegen, tagsüber zu powern und abends runterzufahren. Und ich merke, wie sehr sich meine Seele und meine „kleine Susann“ auf die ersten Eisblumen und Handschuhtage freuen. Dann, wenn es so klirrend kalt ist, dann bin ich gefühlt in meiner Mitte. Ich weiß, lacht nicht, das klingt esoterisch 🙂
Der Herbst macht mich auch in diesem Jahr wieder dankbar für die „Ernte“ und damit meine ich nicht nur die „Gartenernte“. Ich fühle tiefe Dankbarkeit für alle ehrlichen Begegnungen und lieben Menschen in diesem Jahr; fühle Dankbarkeit, dass sich mein Arbeitskontext zum Guten verändern konnte und ich mich selbst wieder ernst nehmen kann; dass mein Kühlschrank und der Tank nie leer waren; dass es Trost und Mut in großen Portionen gab und Ostseesand in meinen Schuh’n; vertraute Melodien in meinem Ohr und wunderbare Worte in meinem Kopf; und reiche, herrliche, traurige Erinnerungen in meinem Herzen.
Denn ich weiß auch, dass mich der Herbst neu fordern wird, mit seinen ganz eigenen Themen: Abschied und Loslassen. Gehen lassen, beenden. Und das ohne zu wissen, wie und ob es neu anfangen wird. Klar könnten jetzt die Schlaumeyer unter euch sagen: der nächste Frühling kommt bestimmt, war doch immer so! Und ich würde sagen: der Herbst und seine Themen brauchen einen guten Platz. Und das heißt nicht, ihn mit der Option des Frühlings zu überspringen. Ich möchte auch in diesem Jahr üben, loszulassen und gut zu verabschieden. Möchte üben, die Dunkelheit auszuhalten und ein wenig zu beleuchten. Möchte die langen Nächte zur Ruhe nutzen und die traurigen Herbstgedanken nicht wegscheuchen. Sie dürfen kommen und dann weiterziehen.
Und in die Herbstgedanken vermischen sich – wie jedes Jahr – die Rilkegedicht über den Herbst. Wie immer verwischen die Grenzen der Gedichte in meinem Herzen und es verschmelzen zu meinen Herbstgedanken:
Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß. Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren und auf den Fluren lass die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein; gib ihnen noch zwei südlichere Tage, dränge sie zur Vollendung hin und jage die letzte Süße in den schweren Wein.
Die Blätter fallen, fallen wie von weit, als welkten in den Himmeln ferne Gärten und in den Nächten fällt die schwere Erde aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben.
Wir alle fallen. Es ist in allen. Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.