Letzte Woche noch Ewigkeitssonntag, heute erster Advent. Kränze verbinden die beiden Sonntage.
Wie? Dazu darf ich meine liebe Kollegin Lydia Spranger wörtlich zitieren:
„Wir gehen in diesen Tagen auf unsere Friedhöfe. Zum einen muss alles winterfest gemacht werden und zum anderen steht der Ewigkeitssonntag vor der Tür. Für viele ein schwerer Tag, ist doch das Gedenken an die verstorbenen Liebsten immer auch mit Schmerz verbunden. Wir als Christen betonen den Ewigkeitssonntag anstatt ihn landläufig Totensonntag zu nennen. Denn wir wollen von der Hoffnung erzählen, dass es ein Leben in Gottes Herrlichkeit und Nähe in Ewigkeit gibt, ein Leben nach dem Tod, in dem auch ein Wiedersehen möglich ist.
Als Symbol dafür haben wir den Kranz und es ist schön zu sehen, dass auch manche Gräber in der Hoffnung auf diese Ewigkeit ein Kranz schmückt. Er hat keinen Anfang und kein Ende, so wie Gottes Liebe. Die Farbe der Zweige, grün, ist die Farbe der Hoffnung. Und die dürfen wir haben!
Aber das ist noch nicht alles. Nur wenige Tage später wird uns der Kranz wieder begegnen. Diesmal mit roten Bändern geschmückt, also umgeben mit der Farbe der Liebe, der Liebe Gottes. Dazu kommen vier Kerzen, die nach und nach entzündet werden und so unser Warten begleiten. Zur Hoffnung und Liebe kommt der Glaube, dass Gott in diese Welt kam und mit Jesus seine Liebe greifbar wurde. Und wenn wir warten in Gottes Licht, dürfen wir auch die Ewigkeit erwarten.
Und so bleiben Glaube, Hoffnung und Liebe, aber die Liebe ist die größte unter ihnen. (Bibel, Neues Testament, 1. Korinther 13)“
Vor ein paar Tagen, als ich abends das Auto vorm Haus geparkt hatte und ausgestiegen war, da roch ich ihn: den Frost, den Schnee, den Winter. Und mein Herz schlug schneller vor Vorfreude (auch wenn die Autofahrerin in mir kurz stockte). … Wenn ich in Vorstellungsrunden nach meiner liebsten Jahreszeit gefragt werde, wenn ich in Ankommensrunden mit Bildern eines auswählen muss: dann ist es zumeist der späte Herbst, der frühe Winter. Ich habe mein Herz an diese Zeit verloren. Dann ist die Hitze des Sommers auf jeden Fall vorüber, die Ernte ist „eingefahren“ und der Garten legt sich schlafen, dann wird es ruhiger und in mir auch klarer. Die Welt um mich her wird gefühlt langsamer, mein Blick wird freier, für mich weiter. … Deshalb habe ich es geliebt, letztes Jahr zwei Mal Herbst und Winter zu erleben: im Juni/ Juli in Neuseeland und dann danach nochmals in Deutschland 🙂 Du fragst dich sicher, was ich an dieser Jahreszeit liebe? Wo doch mindestens 90% der Menschen den Abschied vom Sommer bedauern und aus lauter Frust in die wärmeren Regionen der Erde urlaubend „flüchten“. Der Herbst ist in sich ambivalent: es ist ein Abschied im Ahnen des neuen Anfangs, ein Durchatmen vor der „nächsten Runde“, ein Aussortieren und zeitgleich Vorbereiten. In diesem Moment liegt Spannung und Entspannung zugleich – bis fast zum Zerreißen im Innen und Außen.
Freilich kann ich nicht leugnen, dass ich mich auch mit der Ambivalenz dieser Jahreszeit verbunden fühle. Es ist das Gold auf der einen, die Tristesse auf der anderen Seite. Es ist die Fülle der Ernte und der Schmerz des Verlustes. Es ist die Dankbarkeit und die Sehnsucht. Es ist die Freude und die Traurigkeit. Es ist das besondere Licht und die tiefe Dunkelheit. In mir ist Klarheit und Suchen, Verlieren und Finden, Tränen und Schmunzeln, Kälte und Wärme.
Diese Spannungen trage ich in mir – nicht nur im Herbst. Der späte Herbst deckt sie für mich am deutlichsten auf, lässt mich am stärksten fühlen. Und der darauf folgende Winter entspannt die gefühlten Widersprüche mit seiner kalten, pulsierenden, durchdringenden Klarheit. Dann kann ich am besten ausruhen und wieder Kraft tanken „für mein geliebtes Leben mit meinen inneren Ambivalenzen „für die nächste Runde“.
Ich wünsche dir einen spannenden und entspannten Herbst, Wärme im Herzen und Klarheit im Außen, Zeit zum Suchen, Geduld zum Finden, Trost im Verlust.
Ich sitze gerade in meinem Bett und schreibe diese Zeilen. Die Füße sind unter der warmen Decke verstaut, mein Rücken lehnt an meiner großen Neuseelandfototapete und mein Kopf schwirrt von Gedanken. Seit dem Abwasch heute Nachmittag begleitet mich ein Ohrwurm – aus dem Nichts war er da „If I could turn back time…“ und ich befürchte, es wird mein „Song der Woche“ 🙂 Ohrwürmer halten sich zumeist hartnäckig in meinem Leben. (Weswegen ich mir übrigens schnell die Ohren zuhalten, wenn jemand in Ohrwurm-Sing-Laune summt oder pfeift. Nun also heute: Cher. Das Lied ist übrigens von 1989. Mal abgesehen davon, habe ich glaube ich gerade zum ersten Mal das Video zum Lied angeschaut – ein wenig irritierend die Matrosen, die Klamotte, das Setting. Dass mein Gehirn, mein Herz ausgerechnet heute dieses Lied auf die Lippen ruft, scheint in dieser Hinsicht etwas verwunderlich. 😉
„If I could turn back time…“? Was würdest du tun, wenn du die Zeit zurückdrehen könntest?
Gedankenspiele wie diese lösen in mir schnell Erinnerungen an Vergangenes aus. Und dann purzeln die Bilder in meinem Kopf: Wenn ich könnte, würde ich Rumo nochmal feste Knuddeln und ihm einen Ball über die Herbstwiesen werfen. Ich würde mit Rainer und Eva gern nochmal auf der Hollywood-Schaukel sitzen und mit Alfred und Käte durch den Erzgebirgswald stiefeln und Pilze sammeln. Ich würde gerne so manchen lauen Sommerabend und noch mehr Sand in meinen Schuhen fühlen wollen und ja: ich würde mich auch flugs zurück nach Neuseeland zurückdrehen, in die Robbenkolonie und zu den Keas…
„If I could turn back time“
Gedankenspiele wie diese zeigen mir nicht nur das scheinbar „Verlorene“ sondern auch, was heute dran ist: Begegnungen und gemeinsame Zeit, Ehrlichkeit und Vertrauen, Grenzen ziehen und Neues wagen, Verbindungen eingehen, Fragen stellen, Ich-hab-dich-lieb sagen und Umarmungen verschenken. Oder wie es Mark Twain festgehalten hat: „Das Leben ist kurz! Brich die Regeln, vergib schnell, küsse langsam, liebe wahrhaftig, lache unkontrolliert und bereue nichts, was dir ein Lächeln geschenkt hat.“ Ein schönes Vorhaben für mein neues Lebensjahr 🙂
Heute gehe ich mit großer Dankbarkeit schlafen. Unglaublich viel Dankbarkeit über die vergangenen Tage und die wunderbaren Begegnungen rund um meinem Geburtstag trage ich im Herzen! Ich bin dankbar für meine Wegbegleiter, alle herzlichen Impulse, die liebevollen Wünsche und auch über jede neue Falte auf meinem Gesicht. Geburtstage sind für mich Zäsuren zum Innehalten, wie Silvester und das neue Jahr. Mehr noch: dieses Jahr merke ich auch, dass all das nicht selbstverständlich ist und dass mir Wünsche wie Gesundheit, Trost, Zuversicht, Hoffnung und Kraft besonders nahe gegangen sind.
So wünsche ich dir in die Nacht auch Dankbarkeit im Herzen, Zufriedenheit mit dir und eine neue Woche voll unkontrollierten Lachens und langsamer Küsse 🙂
Der Tee dampft neben mir, an diesem Herbstabend. Es ist meine „Bunte-Wiese-Mischung“ und ich darf feststellen: gar nicht mal so übel meine erste eigene Teemischung. Den Sommer über habe ich gesammelt, getrocknet, zerkleinert. Vor ein paar Tagen dann gemischt und abgepackt. Jetzt genieße MEIN Heißgetränk.
Überhaupt war es ein Jahr voll großer Ernte. Gefühlt gab es tausend Kilo von Mirabellen und Tomaten, Johannisbeeren und Kartoffeln, Pflaumen und Bohnen. Ich habe gefühlte Tonnen Marmelade und Kompott gekocht, saures Gemüse und literweise Tomatensauce. Grünes Tomatenchutney und schwarze Nüsse – beides gelungene Neuversuche! Die meisten Wochen kam ich mir vor, wie ein kleines Kräutermütterchen aus den Märchen, gerüstet für die nächsten Jahre 🙂 Und übrigens: wenn ich jede Woche ein Glas Apfelmus essen würde, hätte ich bis zum Frühling 2027 genug 😉
Inzwischen bin ich erleichtert, dass der Garten nun nur noch „die letzten Dinge“ abverlangt. Bäume schneiden, letzte Beete umgraben, die Wasserfässer leeren, die Pumpe abklemmen. Ich freue mich auf den Moment des „Winterdichtmachens“. Jedes Jahr ein Durchatmen und Ausruhen – um dann spätestens im Februar mit den ersten warmen Sonnenstrahlen die neuen Anbaupläne zu schmieden. Auch wenn ich dieses Jahr feststelle, dass es nächstes Jahr keine 30 Tomatenpflanzen geben wird 🙂 – wer weiß, wie ich im Frühling dazu stehe. Ich schmunzle bei dem Gedanken; ein wenig kenne ich mich ja schon.
Der Herbst ist für mich auch in diesem Jahr wieder eine Zeit des Aufatmens nach dem langen Sommer – ich weiß, dass mir da viele nicht zustimmen. All jene, die sich nach Sonne und Wärme von außen sehnen, können wahrscheinlich schwer nachvollziehen, dass jetzt meine Temperaturen beginnen. Mein Kopf ist nicht mehr gelähmt von zu viel Hitze und zu langen Tagen. Es fällt mir leichter, zu Sortieren, mich zu bewegen, tagsüber zu powern und abends runterzufahren. Und ich merke, wie sehr sich meine Seele und meine „kleine Susann“ auf die ersten Eisblumen und Handschuhtage freuen. Dann, wenn es so klirrend kalt ist, dann bin ich gefühlt in meiner Mitte. Ich weiß, lacht nicht, das klingt esoterisch 🙂
Der Herbst macht mich auch in diesem Jahr wieder dankbar für die „Ernte“ und damit meine ich nicht nur die „Gartenernte“. Ich fühle tiefe Dankbarkeit für alle ehrlichen Begegnungen und lieben Menschen in diesem Jahr; fühle Dankbarkeit, dass sich mein Arbeitskontext zum Guten verändern konnte und ich mich selbst wieder ernst nehmen kann; dass mein Kühlschrank und der Tank nie leer waren; dass es Trost und Mut in großen Portionen gab und Ostseesand in meinen Schuh’n; vertraute Melodien in meinem Ohr und wunderbare Worte in meinem Kopf; und reiche, herrliche, traurige Erinnerungen in meinem Herzen.
Denn ich weiß auch, dass mich der Herbst neu fordern wird, mit seinen ganz eigenen Themen: Abschied und Loslassen. Gehen lassen, beenden. Und das ohne zu wissen, wie und ob es neu anfangen wird. Klar könnten jetzt die Schlaumeyer unter euch sagen: der nächste Frühling kommt bestimmt, war doch immer so! Und ich würde sagen: der Herbst und seine Themen brauchen einen guten Platz. Und das heißt nicht, ihn mit der Option des Frühlings zu überspringen. Ich möchte auch in diesem Jahr üben, loszulassen und gut zu verabschieden. Möchte üben, die Dunkelheit auszuhalten und ein wenig zu beleuchten. Möchte die langen Nächte zur Ruhe nutzen und die traurigen Herbstgedanken nicht wegscheuchen. Sie dürfen kommen und dann weiterziehen.
Und in die Herbstgedanken vermischen sich – wie jedes Jahr – die Rilkegedicht über den Herbst. Wie immer verwischen die Grenzen der Gedichte in meinem Herzen und es verschmelzen zu meinen Herbstgedanken:
Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß. Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren und auf den Fluren lass die Winde los.
Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein; gib ihnen noch zwei südlichere Tage, dränge sie zur Vollendung hin und jage die letzte Süße in den schweren Wein.
Die Blätter fallen, fallen wie von weit, als welkten in den Himmeln ferne Gärten und in den Nächten fällt die schwere Erde aus allen Sternen in die Einsamkeit.
Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr. Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben, wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben.
Wir alle fallen. Es ist in allen. Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen unendlich sanft in seinen Händen hält.
Ich bin viel zu früh. Irgendwie mache ich mir immer Sorgen, dass ich keinen Parkplatz bekomme, wenn ich in „die Stadt“ muss. Besonders wenn das Ziel der „hippe“ Leipziger Westen. Um das Thema Parkplatzsuche rödelten meine Gedanken schon heute Nachmittag. Die Klamottenfrage hatte ich gestern schon entschieden – es sollte sommerliche Temperaturen geben, also auf jeden Fall Sandalen. Dazu meine neue schwarze Hose, leichtes schwarzes Shirt und darüber der schöne gehäkelte beigefarbene Poncho. Und ich wollte die großen Holzohrringe tragen – kein Makeup. Wie immer. Wohlfühlen in meiner Haut, so wie ich täglich auf Arbeit bin und auch, weil ich weiß, wie sehr ich schwitzen könnte vor Aufregung.
Inzwischen ist das Auto geparkt, ich habe noch 25 Minuten, bevor ich reingehen werde. Zu früh macht keinen hübschen Eindruck und Eindruck will ich heute auf jeden Fall machen. Erst recht, weil ich nichts zu verlieren habe. Noch 24 Minuten. Also entschließe ich mich, noch ne Runde um den Block zu laufen, zu atmen, in Gedanken alles nochmals durchzugehen, was mir wichtig ist. Nicht, dass ich das nicht längst schon getan hätte, doch es beruhigt mich. Kurz vor halb sieben nähere ich mich dann dem Eingang, neugierige Gesichter begrüßen mich, wir setzen uns – in mir ist es ganz ruhig. Zwei Schweißtropfen laufen mir langsam über die Stirn- ich kenn mich, wie immer 😉 Gut, dass nichts verlaufen kann. Das Taschentuch ist schon bereit.
Und jetzt heißt es: Mensch, einfach machen! In vielen Momenten, in denen ich nicht so ganz weiß, was auf mich zukommt, fällt mir dieser Spruch wieder ein. Den Slogan habe ich das erste Mal in der Diakonie aufgeschnappt, als ich in den Freiwilligendiensten gearbeitet habe. Einfach machen! Was soll schon passieren, trau dich! Machen, auch wenn du nicht weißt, ob es „einfach“ wird. Hauptsache loslegen.
Die kommende Stunde ist dann Ruhe in mir, ein kleiner Frieden nach dem ich mich schon lange sehne. Ich spreche alles an, was mir wichtig ist. Ich kann alle Fragen stellen. Auch die anderen haben Fragen und ich kann ehrlich antworten, ohne mich nackig zu machen. Und am Ende des Gespräches habe nicht nur ich ein Ja zur Zusammenarbeit. Wenige Tage später werde ich der neuen Stelle zusagen und damit ein entsetzlich anstrengendes und aufreibendes halbes Jahr beenden.
5. Juni, später Vormittag in Leipzig
Zum Glück hat die Augenärztin mich mit den Pupillenweitenden Tropfen heute verschont. Die vierteljährliche Kontrolle lief halbwegs überraschungsfrei ab. Mit dem Aufatmen in mir, fahre ich ins Verlagsbüro. Drucken will ich, eine Seite. Daheim habe ich keinen Drucker, also mache ich mich auf den Weg. Das Dokument hatte ich schon daheim aufgesetzt, doch wichtig war die originale Unterschrift. Also Drucken, dann Post.
Im Büro ist es ungewohnt still. Die Kollegen scheinen alle außer Haus zu tun zu haben, so schalte ich den Rechner an und lasse mich auf dem Drehstuhl nieder. Dropbox auf, Dokument öffnen, drucken. Sofort springt das Gerät an, rattert das A4-Blatt raus. Ich stehe auf, greife mir das Papier und setze mich wieder. Der Stift liegt hier zur Unterschrift bereit.
Nach mehr als vier Jahren treffe ich einen Entschluss und verschaffe mir damit Klarheit. Auch, wenn ich nicht weiß, was kommen wird. Auch wenn gänzlich offen ist, wie das finanziell gehen kann. Ich werde mit diesem Papier meine unbefristete Festanstellung kündigen; meine geliebte Tätigkeit der Fachberatung aufgeben und ins beruflich Ungewisse starten. Ich werde meinen Arbeitgeber verlassen und für mich eintreten. Ein halbes Jahr voller unaussprechlicher Momente, Unverständnis, Enttäuschung und Mobbing liegt hinter mir und ich beende das heute aktiv. Ich treffe für mich diese Entscheidung – ohne absolute Klarheit, doch voller Gewissheit, dass ich für mich das Richtige tun muss. Und das ist im besten Sinne Kapitulation – für mich. Mensch, machen – auch wenn es sich nicht einfach anfühlt.
30. Juli, morgens in Markranstädt
Das alte Büro ist längst geräumt, das Chaos daheim sortiert, die Abschiedsmails geschrieben, der Resturlaub genommen. Heute ist mein „vorletzter, alter Tag“. Ich sitze in der Physiotherapiepraxis und mein Blick wandert zur Eingangstür. Neben ihr hängt der „Impulskalender“ und meine Augen bleiben am heutigen Spruch kleben: „Wer absolute Klarheit will, bevor er einen Entschluss fasst, wird sich nie entschließen.“
Innerlich schmunzelnd, denke ich: „Amen, so ist es!“ Ich bin sehr froh, dass ich mich aus meiner Ohnmacht befreien und mich für die neue berufliche Perspektive entscheiden konnte. Trotz fehlender Klarheit, ob das alles klappt. Doch voller Mut und Entschlossenheit und mit einem inneren Frieden. Mensch, einfach machen!
Morgen werde ich den neuen Arbeitsvertrag unterschreiben und ab Freitag gehöre ich dann offiziell beruflich wieder nach Leipzig. Die Kirchgemeinden des Leipziger Westens haben ihre Projektstelle mit mir besetzt und ich freue mich sehr auf die neue Aufgabe. Ich darf für die Altersgruppe 20-40Jährige ein Konzept erstellen, Projekte testen und auch „erforschen“, was dieser Altersgruppe an Kirchgemeinde und Glauben wichtig ist. (an dieser Stelle vorgegriffen: ich werde euch in einem anderen Blogbeitrag in den kommenden Wochen mehr davon erzählen)
Und da es sich dabei um eine kleine Anstellung handelt, werde ich mich „den Rest“ meiner Zeit meinem Studium widmen und meine Selbstständigkeit ausbauen. Was ich da mache? Schau gern mal rein:
Klingt für dich, deine Arbeitsstelle, deine Einrichtung und Organisation interessant? Dann freue ich mich über deine Anfrage oder Nachfrage oder den ein oder anderen Auftrag 🙂
Mensch, (einfach) machen. Ob die kommende Zeit „einfach“ wird? Ich vermute, eher nicht. Doch ich habe mich entschieden und ich vertraue auf den inneren Frieden in mir, beruflich neu zu starten und hoffentlich anzukommen. Susann, einfach machen – es wird gut, sowieso.
Und für alle Unentschlossenen, Unentschiedenen, Fragenden, Suchenden, Abwägenden unter euch Lesenden: wartet nicht auf absolute Klarheit, traut euch, entscheidet euch, einfach machen 🙂 Es wird gut, sowieso.
Heute kurz nach fünf das gleich Spiel wie jeden der letzten Tage: ich wache auf und kann nicht mehr schlafen. Obwohl ich das Schlafzimmer abgedunkelt und das Fenster gegen die morgendliche Zwitscherfreude der Vögel verschlossen halte, schlafe ich nicht länger. Grummelnd erhebe ich mich, koche einen Bittertee und beschließe, den Morgen zu nutzen, um eine Runde zu laufen. Das Gute an Feiertagsmorgen ist doch das: keiner ist unterwegs und es fällt nicht mal auf, wenn ich mit ungekämmten Haaren in Schlonzklamotte durch Markranstädt laufe!
Kurz vor sechs erhebt sich dann die Sonne über die Baumwipfel und mit ihr bin ich unterwegs. Die Gedanken laufen kleine Schleifen, während ich die frische Luft tief einatme und die Menschenruhe genieße.
… Pfingsten ist eines der letzten großen Feste im Kirchenjahr. Nachdem Jesus im Himmel verschwunden war, passierte 10 Tage lang nichts. Dann – 50 Tage nach Ostern – gab es „plötzlich vom Himmel her ein Brausen, wie wenn ein heftiger Sturm tobt… Zungen wir Feuer, die sich verteilten“. Der Geist Gottes war unter die Menschen gefahren und beGEISTerte sie, erfüllte ihre Herzen, vereinte sie über Ländergrenzen hinaus. So erzählt es die Apostelgeschichte der Bibel. Und ich bleibe hängen an den Fragen: Was beGEISTert mich? Wofür brennt mein Herz? Wofür bin ich Feuer und Flamme?…
Ich beschließe kurzentschlossen, meine mitgebrachte Schere und Beutelchen zu zücken und an diesem riesigen Holunderbusch halt zu machen, um Blütendolden zu schneiden. Inmitten des summenden Busches genieße ich den stillen Morgen vor allem, weil Pfingsten in Leipzig besonders viele Menschen nach draußen lockt. Dieses Jahr fallen Stadtfest und WGT (Wave-Gotik-Treffen) aufeinander. Schon am Freitag erlebte ich eine angespannte Parkplatzsituation und „wühlte mich“ rund um den Park durch gutgelaunte, phantasievoll gekleidete Anhänger der „schwarzen Szene“ hin zum Verlag. Das, was es diesen WGT-Tagen immer wieder gelingt, ist, das Ende des Lebens, den Tod, in das Bewusstsein der Menschen zu holen. Den Tod ein Stück alltäglich und greifbar werden zu lassen. Der Korso von Leichenwagen gehört selbstverständlich zum WGT, wie Konzerte, Andachten und die unzählige Begegnung mit „den Schwarzen“ verteilt über die ganze Stadt. Für manche vielleicht befremdlich – für mich anteilig auch, besonders, wenn Menschen in Gasmasken vor mir stehen. Und doch: besonders heute morgen – im Holunderbusch stehend – schweife ich zu der Frage, wie „alltäglich“ ich mit dem Thema Tod umgehen kann?
Die Endgültigkeit, die vermeintliche Letztgültigkeit nimmt mir fast die Lust zum Atmen und der Kloß im Hals wächst… heute ist der Todestag meiner Omi; in drei Tagen jährt sich zum zweiten Mal Rumos Todestag… Unwillkürlich steigen mir Tränen in die Augen und das Vermissen schmerzt. Keine Ahnung, ob und wie Zeit Wunden heilt, was ich fühle: Zeit verändert Wunden. Und Zeit bringt dankbares Lächeln zu den Tränen…. Und wird dann Tod „alltäglicher“?
Ich lege die letzten geschnittenen Holunderdolden in das Beutelchen und schicke einen Gruß gen Himmel, übe so, mit der Endgültigkeit des Todes umzugehen und ihn etwas alltäglicher zu machen: An alle die, die viel zu früh gegangen sind. An alle die, die ich heute besonders vermisse. An alle die, die mir Tränen und Lächeln ins Gesicht zaubern. An alle die, mit denen mich dankbare Erinnerungen verbinden. Ihr fehlt.
Auf dem Weg nach Hause wandern die Gedanken wieder und die Tränen werden weniger. Meine Pfingstmontagsgedanken und die Fragen an dich: Was beGEISTert dein Herz? Wofür bist du Feuer und Flamme? Und welche Erinnerung zaubert dir Tränen und Lächeln ins Gesicht? Ich wünsche dir einen hübschen Feiertag!
Heute ist Feiertag. Und/oder Christi Himmelfahrt. Und/oder Männertag. Und/oder Vatertag.
Heute ist Feiertag. Heute ist ein freier Tag. Keine Arbeit, keine Verpflichtungen, abhängen, rumgammeln, rausgehen, unterwegs sein. Doch was genau befeiern denn die Menschen heute eigentlich?
Meinen Tag dominierten besonders am Vormittag Männerherden, die sichtlich angetrunken auf dem Fahrrad durch die Gegend juchtelten. Auch traf ich eine kleine Horde mit Bollerwagen, Birkenbäumen und Bierkästen. Die Box mit lautem Schlager gefüllt, zogen sie durch die Straßen. Auf dem Heimweg vom Kleingarten kamen mir ungezählte Motorradfahrer entgegen oder überholten mich; selbst jetzt, während ich diese Zeilen schreibe, heulen ab und an die Motoren laut an der Ampel 50 Meter entfernt von meinem Haus. Ich gestehe: mit diesem Männertag kann ich überhaupt nichts anfangen. Es scheint, als würde dieses Brauchtum genutzt, um sich „mit der offiziellen Feiertags-Begründung“ schon morgens die Binde ordentlich zuzuknallen und dann einigermaßen verantwortungslos durch den Tag zu stolpern. Und all jenen, denen diese „Feiertagsstimmung“ ein Unbehagen bereitet – und das sind bestimmt vermehrt Frauen – hinterherzugrölen. Heute früh fand ich bei einer Freundin auf Instagram folgenden Spruch: „Während Mama am Muttertag einen Gutschein zum Spülmaschine ausräumen bekommt, gibt es für Papa zum Vatertag einen gesetzlichen Feiertag mit „Herrentour“ und Freifahrtschein zum Pöbeln?“ Spitz, und doch auch treffend, oder?
Versteht mich bitte nicht falsch, ich habe nichts dagegen, dass sich Männer miteinander Zeiten oder Tage gönnen, unter sich sind, sich feiern, anschweigen, Football glotzen, Fahrrad fahren, klettern gehen, gemeinsam abhängen, auch mal ein Bier zischen – keine Ahnung, was Männer so anstellen… Doch braucht es dafür diesen einen Tag mit diesem doch einigermaßen unnötigen Brauchtum der Bierböllerwagen?
Zum Glück bietet das Feiertags-Potpourri des heutigen Donnerstags mehr 😉 Nehmen wir Christi Himmelfahrt. Vermutlich ein inhaltlich recht schwer zu greifender christlicher Feiertag. Wir wissen, dass es irgendwann mal Donnerstag ist, kurz vor Pfingsten. Die Bayerischen Schulkinder freuen sich spätestens jetzt auf die anstehenden zweiwöchigen Ferien. 🙂 40 Tage nach Ostern – ja, tatsächlich, so lange liegt Ostern schon zurück! – wird jedes Jahr Himmelfahrt gefeiert: Jesus hat sich nach der Auferstehung aus dem Totenreich (die an Ostern gefeiert wird) laut Überlieferung des neuen Testamentes 40 Tage seinen Jüngern gezeigt und ist dann zurück in den Himmel „gefahren“. Als Kind habe ich mich immer gefragt: wie ist Jesus denn „gefahren“? Mit einem Aufzug? Einem Rentierschlitten? Einem anderen Wolkengefährt? Bildliche Darstellungen arbeiten da tatsächlich gern mit einer Wolkendarstellung bzw. Lichteffekten.
Wenn mich Religionsschülerinnen oder Schüler fragten, versuchte ich davon zu erzählen, dass der Kreis mit Himmelfahrt wieder „rund wird“. Jesus wird zu Weihnachten von Gott dem Vater auf die Erde geschickt, um die Welt zu erlösen, die Menschen vom Bösen zu retten und letztlich kehrt er nach „getaner Arbeit“ zurück zum himmlischen Vater. Und damit die Menschen nicht allein sein, Gott bei ihnen bleibt, kommt an Pfingsten der heilige Geist auf die Erde. Zumeist endeten diese Gespräche in der Erklärung des christlichen Gottesbildes: ein Gott in drei Formen. Und als Religionspädagogin gestehe ich an dieser Stelle: das ist wirklich das schwierigste Gottesbild aller Weltreligionen 🙂
Feiertagspotpourri – zu guter Letzt: Heute ist auch Vatertag. Freilich hat mein Paps heute auch Glückwünsche und einen Anruf von mir erhalten. Wer mich kennt, weiß aber auch, dass ich es mit diesen „festgelegten Ehrentagen“ nicht so habe. Es braucht keinen Valentinstag, um Liebe zu feiern oder Muttertag, um die Spülmaschine auszuräumen, oder Vatertag, um Gebasteltes zu verschenken. Gegenseitiger Respekt beginnt nicht am Kindertag und hört auch nicht am internationalen Frauentag auf. Gegenseitiger Respekt, Wertschätzung geschieht bestenfalls alltäglich mit offenen Ohren und liebenden Augen. Dass das nicht immer leicht ist und auch nicht immer gelingt und auch nicht ohne Streit auskommt, das wisst ihr bestimmt so gut wie ich. Doch ich für meinen Teil bin im besten Sinne stehts bemüht 😉
Und doch lassen mich diese „festgelegten Ehrentage“ inne halten, besonders nachdenken. Und heute denke ich so an Väter. An die Väter, die ihr Kind in den Schlaf wiegen. An die übernächtigten Väter und die überarbeiteten, weil sie es für ihre Kinder schön haben wollen, finanzielle sicher, behütet. An die Väter, die sich Geschichten zum Einschlafen ausdenken und zum Gruseln am Lagerfeuer, die die Monster unterm Bett vertreiben und sich Monsterschminke im Gesicht verteilen lassen. An die Väter, die viel unterwegs sind und an die Freude, wenn sie nach Hause kommen. An die Väter, die nicht bei ihren Kindern leben können, dürfen, wollen, sollten. An die Väter, die ihr Kind schon zu Grabe getragen haben. An die Väter, die allein daheim sind oder alleinerziehend. An die Väter, die mit Vätern leben und dafür noch viel zu oft doof beäugt werden. An die Männer, die keine Väter sein können oder sein wollen.
Meine Gedanken wandern während ich schreibe und mein Blick wandert auch. Hinter meinem Schreibtisch ist eine große Fotowand, mit Naturbildern und Selfies, Zeitungsschnipseln, Kalender, den Hundemarken von Rumo und Bildern von mir lieben und wichtigen Menschen. Mein Blick bleibt hängen beim Bild mit meinen Eltern – das war letzten Juni, als sie mich nach Frankfurt zum Flughafen gefahren haben, bevor ich nach Neuseeland geflogen bin. Den beiden steht die Erschöpfung ein bisschen im Gesicht, doch es war für mich ein solch schöner Moment und ich bin froh, dass sie mir erlaubt haben, mit euch nun dieses Bild zu teilen. Und ich freue mich schon jetzt auf die nächsten gemeinsamen Momente, Bilder und Herzerinnerungen 🙂
Neben meinem Elternhaus wachsen Haselnussbüsche. Seit ich denken kann, stehen sie dort. Um in die Äste zu gelangen, stapfte ich als Kind regelmäßig über den Wäscheplatz hinter dem Haus, hangelte mich am Gartenzaun und dann die Bachmauer hinunter, ein kleiner beherzter Schritt und wenige Meter nach oben kraxeln und dann saß ich in den Zweigen der Büsche dort. Als kleine Susann liebte ich es, in diesen Sträuchern zu sitzen, über Gott und meine Welt Affalter nachzudenken, Nüsse zu knacken, mich zu verstecken, den Blättern zu lauschen und einfach zu sein. Manchmal kicherte ich, wenn die Nachbarn auf dem Gehweg vorbei liefen, ein Geräusch hörten, jedoch nicht verorten konnten, woher es kam. Es waren schöne, friedliche Momente – keine Ahnung, ob dort ab und an auch heute noch jemand sitzt. Empfehlen kann ich es auf jeden Fall!
Durch Zufall erinnerte ich mich vorletzten Sonntag wieder an diese schönen Momente. Ich besuchte mit Freunden die Generations Church International in Leipzig – kurz vor Ostern hatten sie mich schon mal mitgenommen. Schon beim ersten Besuch hatte mich die Ansprache noch einige Tage beschäftigt und ich hatte es sehr gemocht, denn es war mir schon lange nicht mehr so mit einem Gottesdienst ergangen. Auch die letzten Tage hängen mir die Gedanken der Andacht noch nach.
Es ging im Zachäus. Ein äußerlich kleiner Mann muss er gewesen sein und in Jericho hat er gelebt. Vor 2000 Jahren waren Teile Israels von den Römern besetzt, die wiederum Menschen einsetzten, um ihre Interessen zu vertreten und durchzusetzen. Manche Ämter konnte man sich sogar ersteigern. Und vielleicht hatte sich Zachäus seinen Job als Steuereintreiber und Zöllner auch ersteigert; vielleicht hatte er viele Münder zum Durchfüttern; vielleicht sehnte er sich auch nach finanzieller Sicherheit und das Geld hatte gelockt. Er hatte es zum Chef der Zöllner geschafft und galt somit als „Reicher“. Was die Geschichte auf jeden Fall erzählt, ist, dass die Bewohner Jerichos Zachäus nicht mochten. Und so war es nicht verwunderlich, dass er keinen guten Stand unter den Leuten hatte. Als Jesus eines Tages nach Jericho kommt, rennen die Menschenmengen auf die Straßen, um ihn zu sehen. Einmal diesen Jesus anschauen, vielleicht anfassen, austesten… wie auch immer: Zachäus wollte auch. Doch er war klein von Gestalt und ich stelle mir vor, dass ihn keiner nach vorne ließ. Er klettert deswegen in einen Maulbeerbusch und schaut von oben und wartet mit der Menge. Und als Jesus an dem Baum vorbei kommt, sieht er Zachäus und sagt sinngemäß: „Ich lade mich heute bei dir ein! I’m coming to your house today!“ Und Jesus kehrt ein und Zachäus verändert sein Leben… Soweit die Geschichte.
Was mir vor allem seit diesem Sonntag nachgeht, ist der Gedanke, den Pastor Taylor hatte: die Geschichte strotzt und sprüht von Gastfreundschaft! Ja, richtig, Gastfreundschaft. Alle bisher gehörten Predigten hingen sich an den gesellschaftlichen Themen auf: Arme und Reiche, Privilegierte und Gläubige, Diener der Besatzer und Besetzte – immer ging es in meinen Ohren um das Spaltende. Und Jesus kommt und kehrt den „Abtrünnigen“ um. Manchmal hingen sich die Predigten an der Verlorenheit Zachäus auf; dieser Mann, der so viel Sünde hat und ausgerechnet bei dem kehrt Jesus ein. Und in einem ganz merkwürdigen Moment forderte mich ein Predigender auf – und freilich auch alle anderen Zuhörenden – besonders die „Abtrünnigen“ zu besuchen. Das hatte damals einen fahlen Beigeschmack, denn es spaltete wieder. Dieses Mal in Rechtschaffene und Sünder. In keiner der Predigen über Zachäus konnte ich bisher andocken; doch Pastor Taylor gelang es, mich mit dem Gedanken der Gastfreundschaft zu catchen.
Was ist Gastfreundschaft für dich?
Ist Gastfreundschaft, die eigene Tür zu öffnen? Vielleicht für geladene Gäste? Ein bestimmter Tag, eine verabredete Zeit. Sich hübsch zu machen, die Wohnung auf Vordermann zu bringen, was Leckeres zu kochen bis sich der Tisch biegt, Blümchen zu kaufen und Duftspray einladend im Flur zu verdieseln? Und würde ich eigentlich jedem öffnen?
Ist Gastfreundschaft, Salat mitzubringen, wenn ich eingeladen werde? Oder Gastgeschenke? Und wer schenkt eigentlich wem? Oder kommen Gäste mit leeren Händen und gehen mit vollen? Empfängt der Gastgeber mit vollen Händen und steht am Ende mit leeren Händen da?
Ist Gastfreundschaft, Familie und Freunden zu sagen, sie könnten jederzeit klingeln? Oder anrufen? Und wäre ich ein guter gastfreundlicher Besucher, wenn ich dies auch täte?
Und ist Gastfreundschaft, wenn ich mich selbst einlade?
Zu Letzterem sagte Taylor an diesem Sonntag: ja. Und das beeindruckte mich sehr. Mein erster Impuls als „Guterzogene“: ich dränge mich nicht auf, ich lade mich selbst nicht ein, ich lasse den anderen ihren Raum, auf keinen Fall klingle ich ohne vorherige Ankündigung. Mein zweiter Impuls als „Erfahrene“: Menschen mögen Überraschungen nicht; erst recht keine Überraschungsbesucher. Sie könnten sich beschämt fühlen, weil die Kissen auf der Couch durcheinander liegen, das Klo nicht geputzt ist, der Kühlschrank leer und man selbst vielleicht in Jogginghose rumschlonzt.
Taylor sah in der Zachäus-Geschichte eine andere Seite: wenn wir den anderen sehen, vielleicht im Baum, auf der Treppe, bei der Arbeit oder beim Bäcker und wir sehen die Not, die Fragen, die Neugierde, die Sehnsucht des anderen, dann dürfen wir uns selbst einladen und fröhlich sagen: „Ich kehre heute bei dir ein und ich bestelle uns Pizza und ich höre dir zu und ich bin für dich da.“ Und vielleicht schreckt das Gegenüber zusammen und sagt, dass das Klo dreckig ist und die Küche voller altem Geschirr stehe und dann könnten wir sagen: „Alles klar, ich sehe deine Not. Passt morgen?“ „I’m coming to your house“ – und ich bringe mich mit und ich bin für dich da und ich höre dir zu und ich kann dir – nur, wenn du möchtest – auch davon erzählen, was mir Hoffnung schenkt, was mir Freude macht, welcher Glaube mein Herz stärkt und mein Leben frei macht. Und Taylor strahlte am Ende der Predigt und meinte sinngemäß: „Das ist Gastfreundschaft: sich selbst zu denen bringen, die es brauchen. Und vielleicht noch Steak mitbringen und meine Glaubensgeschichte.“
Und ich grinse, wenn ich mich erinnere, wie Taylor vor den Zuhörenden stand und sang: „I’m coming to your house today! Einer von euch hat unter seinem Stuhl einen blauen Klebezettel, sucht bitte.“ Ein paar Plätze weiter, fand eine junge Frau diesen Zettel und Taylor kündigte sich strahlend an: „I’m coming to your house today!“ Und ich sah, wie unangenehm ihr der Gedanke schien, dass er direkt nach dem Gottesdienst mit ihr mitgehen wöllte, vielleicht dachte sie an ihr dreckiges Bad – und ich sah, dass Taylor das auch verstand und er grinste, meinte, dass er Fleisch mitbrächte und sie gerne einen Tag ausmachen könnten 🙂
Als ich am Ausgang auf Taylor traf, kamen wir kurz ins Gespräch. Er weiß um mein Ringen im Glauben, mein Suchen, denn wir hatten schon an anderen Sonntagen miteinander gesprochen. Und er meinte lächelnd, dass er kurz gewünscht hätte, dass ich den blauen Zettel zöge. Ich lachte und sagte, er könne auch so gern mal bei mir zu Hause vorbeikommen – am liebsten verabredet und sehr gern auch in Begleitung seiner Frau.
Heute Abend am Schreibtisch sitzend freue ich mich auf diesen Besuch, diese gemeinsame Zeit, in der wir uns zuhören, begegnen, uns vielleicht von dem erzählen, was unser Herz stärkt und unser Leben frei macht. Vielleicht auch von Geschichten über Gastfreundschaft, Wäscheplätzen und Haselnusssträuchern.
Irgendwann habe ich mal ein Sprichwort aufgeschnappt, sinngemäß so: du kannst am Grashalm ziehen – davon wächst er auch nicht schneller. Heute Abend, als ich meine vorgezogenen Tomatenpflänzchen auf der Fensterbank in meinem Wohnzimmer, goß, kam mir wieder dieser Gedanke. Sie sind vergleichsweise mickrig für den Wonnemonat Mai und ich würde sie gern in die Länge ziehen, damit sie endlich raus in den Garten und in den guten Boden können. Doch noch sind sie nicht so weit und meine Ungeduld scheint ihrem Wachstum wenig zuträglich zu sein. „Es wird dauern, so lange es eben dauert“, skandiert eine leise Stimme in meinem Kopf, während ich diese Zeilen schreibe. „Es wird dauern und ändern kannst du nichts daran.“
Manches geht nur Schritt um Schritt. Manches in meinem Leben hätte ich gern schneller, unbedingt jetzt, im Moment des Verlangens und Begehrens. So geht es mir ab und an, wenn ich auf eine Onlinebestellung warte – dieses gute Buch und die Fortsetzung will ich unbedingt heute anfangen! Oder wenn ich mit gutem Hunger Essen koche – dann zieht sich jede Minute, in denen die Spaghetti nicht weich werden! Oder wenn ich auf einen Rückruf warte, auf eine Entscheidung anderer, das Gefühl zieht sich nicht nur durch meine privaten Momente, auch im Arbeitskontext erlebe ich mich, wie ich gern „am Grashalm ziehen würde“.
Im März bin ich beim Mammutmarsch in Leipzig an den Start gegangen. Die Anmeldung dazu war auch eine schnelle Bauchentscheidung – im Nachgang bin ich froh, dass ich noch eine Freundin bequatscht hatte, mitzumachen. 30km lagen an diesem Tag vor mir, freilich hatte ich ein wenig trainiert und mich um neue Schuhe mit frischen Einlagen gekümmert. Die ersten Schritte liefen wie am Schnürchen, die erste Verpflegungsstation im leichten Regen schmälerte meine Freude keineswegs. Doch als die erste Blase am Fuß war, die ersten Kniezipperlein eintraten, sich die Strecke zog, da waren die Schritte plötzlich nicht mehr federnd, nicht mehr flockig. Zuletzt – das Ziel war in Sicht, doch eine kleine Runde durch den Park musste noch absolviert werden – habe ich bei fast jedem Schritt geschimpft. „Wer hatte eigentlich diese Idee!???“ Mit Hilfe von Karo habe ich es ins Ziel geschafft und das Gefühl war der Knaller! Diesen Marsch geschafft zu haben, mit allem was dazu gehört und diese Freude am Ende trieben mir Tränchen des Glücks in die Augen! (Und, was soll ich sagen: trotz wirklich derber Blasen am Fuß habe ich mich tags darauf gleich für den Marsch 2026 angemeldet 😉 )
Im Nachgang wurde mir etwas anderes bedeutsam: die Strecke war für mich machbar, weil ich ganz oft nur an den nächsten Schritt gedacht habe. Nur an den einen nächsten, der in diesem Atemzug dran war. Nicht an die vielen Tausende, die auch noch folgend müssten, um ins Ziel zu kommen. Nur an den Schritt jetzt, atmen, Schritt, atmen, Schritt. So hat es Beppo bei Momo auch gemacht; so habe ich es geschafft. Hätte ich permanent an alle Schritte und die ganze Strecke gedacht, wäre es mir wahrscheinlich nicht gelungen. Der Frust hätte mich bestimmt an der nächsten Haltestelle in den Bus einsteigen lassen!
Und ein zweites: ich bin noch heute dankbar für die Spitzenweggefährtin. Manche Wege muss ich eben nicht allein gehen; bei manchen Wegen ist es gut, jemanden an meiner Seite zu haben.
Und das wünsche ich dir auch. In den Momenten, in denen Schritte zäh sind, Strecken unendlich, Motivation sinkt und der ungeduldige Wunsch, am Grashalm zu zerren, steigt: atme und im besten Fall: lass dich von deiner Weggefährtin mal fest drücken. Und dann setz den nächsten Schritt und atme wieder und dann der nächste Schritt.
Im März hatte mich dann endgültig das Lauffieber gepackt und ich laufe nun im Mai für einen guten Zweck: für die DMSG – die deutsche Multiple Sklerose Gesellschaft. 100km für den guten Zweck – die Erforschung dieser Krankheit mit tausend Gesichtern. In meinem Umfeld kenne ich von der Krankheit Betroffene und Angehörige und diese Ohnmacht, die in mir entsteht, möchte ich in Energie umwandeln. Ich laufe und du unterstützt mich: durch Spenden oder den Link bzw. die Aktion zu teilen. Ursprünglich wollte ich große Strecken laufen – das Leben kam dazwischen und ich mache es, wie oben beschrieben: Schritt um Schritt kleine Strecken, atmen dazwischen und dann die nächste Strecke. Bis zum Monatsende sollen es so mindestens 100km sein! Ich freue mich über deine Unterstützung: https://www.themay50k.de/s/11039/12759
Tausend Dank schon im Voraus! 🙂
Auf den ersten Strecken sind auch schon ein paar hübsche Bilder entstanden, die will ich dir nicht vorenthalten. In diesem Sinne wünsche ich dir gute Schritte durch die neue Woche und liebste Weggefährten 🙂
Ich sitze auf der Bank am Rande dieses Abgrunds. Die Lehne ist breit und die Bank aus wunderbarem dunklem Holz. Dieser Platz ist mir bekannt. Schon sehr lange bin ich immer wieder hier, sitze und starre auf das, was vor mir liegt. Oder stehe an der Kante und wage einen Blick in die Tiefe – doch mit Höhe habe ich es nicht so. Dann wird mir meistens schwummrig und die Beine geben nach. So wähle ich fast immer den Platz auf der Holzbank.
Der Platz rechts ist für mich frei gehalten. Nicht, dass ich gerne hier säße und den Abgrund genießen würde. Doch etwas drängt mich immer wieder, diesen Ort aufzusuchen.
Denn dann sitzt sie nicht alleine auf der Bank.
Das kleine Mädchen links neben mir. Ihre Beine baumeln von der Holzbank und ab und an berühren ihre Fußspitzen den Boden. Sie trägt lange Strumpfhosen und einen gestrickten Pullover. Die kurzgeschnittenen, dunklen Haare fallen ihr in kleinen Locken ins Gesicht. Ihre dunkelbraunen Augen strahlen voller Liebe und Neugier.
Wenn ich sie besuche, redet sie nicht viel. Häufig sitzen wir schweigend nebeneinander und schauen gemeinsam in Richtung Abgrund. Fast immer lege ich meinen Arm um sie und sie schmiegt sich an mich. Manchmal darf ich sie etwas fragen.
Einmal hat sie mir verraten, wie groß ihre Lust ist, in die Welt zu ziehen, ein Pony zu haben, so schnell zu sein im Sportunterricht wie die anderen. Sich zu verkleiden und tagelang in der Höhle bei Omi auf der Couch zu bleiben und Märchen zu hören. Wenn sie könnte, würde sie Krankenhäuser abschaffen, dann wäre ihr Opa häufiger zu Hause. Und sie würde ihren Eltern eine Arbeit schenken, wo man nicht so viel unterwegs ist und mehr Zeit hat zum Spielen und Geschichten vorlesen und Pilze sammeln. Und ihr Bruder wäre endlich nicht mehr hinter diesen gelben Glasscheiben in diesem furchtbaren Bett, weil er diese doofe Krankheit hat – er wäre zu Hause und sie würden sich gemeinsam in den Haselnusssträuchern verstecken. Und vielleicht ein klein wenig die Nachbarn ärgern. Sie würden sich im Indianerzelt verkriechen und gemeinsam die Hasen füttern.
Schöne Träume hat sie, wunderbare Wünsche, ganz viel Sehnsucht. Und dann verfällt sie wieder in Schweigen und ihr Blick wandert zurück zum Abgrund. Wie lang sie schon hier ist, frage ich sie. Sie schüttelt den Kopf. Sie weiß es nicht.
Als ich sie einmal frage, was sie hier mache, stutzt sie, rutscht ein Stück von mir weg und schaut mich durchdringend an. „Willst du mich veräppeln? Das weißt du doch!“
Ich schweige eine Weile. „Nein, das weiß ich nicht“, flüstere ich. „Ich mag es nicht, hier zu sitzen und ich finde diesen Ort wahnsinnig trostlos. Und ich habe keinen Schimmer, warum du hier auf dieser Bank sitzt und den Abgrund anstarrst, anstatt in die Welt zu flitzen und das Bunte zu sammeln! Ich habe keinen Dunst, warum ich immer und immer und immer wieder hierherkomme, dich besuche und sich nichts, wirklich überhaupt nichts, verändert!“
„Das stimmt nicht“, antwortet sie leise. „Wenn du hier sitzt, mit mir auf dieser Bank, verändert sich für mich alles.“
Sie senkt ihren Kopf und ich sehe, wie Tränen langsam aus ihren Augen über ihre kleinen Wangen kullern und auf ihren Pullover tropfen. Sie schluchzt nicht, sie gibt keinen Laut von sich. Sie ist so erschreckend still und weint immer mehr. Vorsichtig lege ich meinen Arm wieder um sie und rutsche an sie heran, bis wir wieder ganz dicht nebeneinander sitzen. Nach einigen tiefen Atemzügen fasse ich Mut und sage: „Es tut mir unglaublich leid, doch ich habe wirklich keine Ahnung. Erklärst du mir bitte, was los ist?“
„Heute nicht. Heute kann ich nicht. Kommst du morgen wieder?“
Ich brauche nichts darauf zu sagen, ich nicke stumm. Natürlich werde ich wieder kommen. Ich werde so lange wiederkommen, bis sie anfängt, loszuflitzen und das Bunte zu sammeln.