Der Abend hat sich über die Stadt gelegt, nur noch wenige Autos schleichen über die glatte und verschneite Hauptverkehrsstraße vor meinem Haus. Ab und an startet ein Rettungswagen in der Nebenstraße, doch im Großen und Ganzen ist der Leipziger Westen durch eine Schneedecke zugedeckt, ruhiger geworden, friedlicher und auch fröhlicher. Ich denke an die schönen Spaziergänge durch den Schnee in den letzten Tagen, an die fröhlich lachenden rutschenden Kinder, die unbekümmert grinsenden Erwachsenen, die Menschen scheinen erleichterter unterwegs, fast schon beschwingt als stünde der Frühling vor der Tür. Auch mich lässt der Schnee aufatmen, die Luft ist klar und eisig und damit werden auch meine Gedanken klarer, deutlicher, friedlicher und ich atme auf im Lockdownmuff.

Gleich werde ich den Feierabend einläuten, nachdem ich noch ein wenig an meinem Buch über die Reise im vergangenen Jahr gearbeitet habe. Das heutige Datum hatte mich daran erinnert, dass ich genau heute vor einem Jahr mit meinem prall gefüllten Rucksack in Berlin gestartet bin, in Moskau in Schneesturm und Eiseskälte umstieg und just um diese Zeit, in der ich gerade diese Zeilen tippe, im Flieger Richtung Hanoi saß. Ein Jahr ist es nun her, dass ich losgetigert bin und auf der einen Seite fühlt es sich an wie „Was? Schon wieder ein ganzes Jahr???“ und auf der anderen Seite habe ich den Eindruck, dass zwischen heute und dem vergangenen 11. Februar Welten und Jahrzehnte liegen könnten.

Ich schmunzle in diesem Moment und dabei rinnt mir ein kleines feines Tränchen übers Gesicht, denn die Erinnerung trägt Freude und auch Melancholie in sich. Und wenn ich mir die Bilder anschaue, dann kann ich ein breites Grinsen nicht unterdrücken, denn immerhin meine Frisur sitzt an diesem 11. Februar besser 😉

Mit einem kleinen Auszug aus meinem Reisebuch sende ich euch grüße in die Nacht! Passt gut auf euch auf!

„Ich wäre notfalls auch mit dem ICE gefahren, doch ich war froh, dass mich mein Paps nach Berlin-Schönefeld brachte. Viel zu früh erreichten wir den Flughafen, tranken Kaffee und aßen eine Kleinigkeit. Danach gab ich mein Backpack auf, 23kg, und zum ersten Mal rutschte mir das Herz nicht nur bis in die Hose, sondern bis in die Füße. Es wurde ernst. Ich würde tatsächlich losfliegen. Gemeinsam mit meinem Paps ließ ich mir den Wind auf der Aussichtsterrasse des Flughafens um die Ohren wehen, wir machten ein, zwei Selfies und zum zweiten Mal rutschte mir das Herz bis in die Füße. Wehmut beschlich meinen Körper. Gleich würde ich allein sein, gleich würde ich allein losziehen, für mindestens sechs Monate. Irgendwann musste Paps zurückfahren und ich fühlte mich schlagartig verloren und verlassen, versuchte tief zu atmen und nicht panisch zu werden. Obwohl ich seit mehreren Monaten mehr oder weniger erfolgreiche, tapfere Nichtraucherin war, konnte ich in diesem Moment den Impuls, mich an einer Zigarette festzuhalten nicht mehr unterdrücken und kaufte mir eine Packung Kippen. Ich rauchte zwei, drei, vier, fünf Zigaretten und merkte, wie das Nikotin meinen Körper durchflutete und mich gewohnt einlullte. Ich fühlte mich nun benebelt und stark genug, den Sicherheitscheck hinter mich zu bringen und damit dem Flieger und meinem halben Jahr Alleinsein entgegenzugehen. Vielleicht roch ich am Sicherheitsschalter wie ein wandelnder Aschenbecher, vielleicht kam ich auch ein wenig zu fahrig daher, doch die Beamtin ahnte in mir eine ausgebuffte Drogendealerin, weswegen ich in Berlin-Schönefeld das erste (und auch das einzige!) Mal auf meiner ganzen Reise von oben bis unten, von vorn nach hinten, von außen nach innen und bis in das letzte Fitzelchen meiner Tasche nach suspekten Substanzen und Sprengstoff durchfilzt wurde. Natürlich fanden sie nichts außer die halb geleerte Packung Zigaretten, mein abgeschranztes Feuerzeug und die Schachtel mit den Medikamenten, welche ordnungsgemäß beschriftet, übersetzt und deren Bedarf bis zum letzten Tropfen Novaminsulfan begründet war. Als ich später am Abfluggate saß und keine Zigarette mehr zum Festhalten rauchen konnte, beschlich mich wieder ein sehr durchdringender Zweifel, ob ich das richtige tue. Ein Telefonat mit Anne beruhigte mich: Ich kann doch jederzeit zurückkommen. Und deswegen könnte ich jetzt auch fliegen. Ich ahnte noch nicht, dass ich bald darüber schmunzeln würde, denn schon in wenigen Wochen würde es für mich keine Möglichkeit mehr geben, „so einfach“ umzukehren. Am Gate flackerte die Nachricht auf, dass die WHO dem neuartigen Virus einem Namen verpasst hatte: „Covid-19, Sars-CoV-2“. Davon nahm ich nur halbherzig Notiz, so schlimm und einschneidend würde das Virus schon nicht sein. Der Lautsprecher schallte, es sei Zeit zum Boarding und ich stieg ohne Maske und mit einer Mischung aus Freude, Angst und Übelkeit in den Flieger nach Hà Nội.“ (11. Februar 2020)