Die Vorweihnachtszeit ist für mich auch eine Zeit des Wintersports- und Filmgenusses. Neben den geliebten Biathlonrennen laufen auf meinem Fernseher endlos schöne Wiederholungen, die mich nie müde machen, die ich in Großteilen mitsprechen kann, in denen ich immer noch mitfiebere und die mich ein Stück weit „umarmen“. Für mich am liebsten neben den beiden Trilogien „Herr der Ringe“ und „Der Hobbit“: „Mister Magoriums Wunderladen“, „Harry Potter“ (freilich alle Teile) und „Die Tribute von Panem“. Manchmal lunzen die alten Star Wars-Filme durch, schwarz-weiße Filmklassiker von Agatha Christie oder auch die berühmten drei Haselnüsse. Doch am liebsten tauche ich noch immer in Mittelerde ab 🙂

In diesen geliebten Filmen habe ich immer auch wieder einen „Lieblingscharakter“. Eine Figur, die mich in ihren Bann zieht. Das kann an der Geschichte liegen oder einfach, dass der Schauspieler in meinen Augen die Rolle so gut ausfüllt. Bei „Harry Potter“ ist das beispielsweise Severus Snape für mich. Und in den „Tributen“ Peeta Mellark.

Vor vielen Jahren war die Vorweihnachtszeit für mich auch immer Probenzeit für Krippenspiele. Schon als kleine Knirpsin durfte ich entweder im Engelreigen mitlaufen oder mit meinen Blockflötenkünsten als Hirtenkind überzeugen. Später dann meist Verkündigungsengel, einmal auch Elisabeth, doch meistens „und siehe, ich verkündige euch große Freude, die allem Volke widerfahren wird“.

Ich erinnere mich, dass ich als Jugendliche und junge Erwachsene EINE Rolle nicht haben wollte: Hirtin. Ich wollte nicht „bei den Hürden“ hocken, die Schafe weiden, mir den Hintern in der Nacht abfrieren und dann von den Engeln überrumpelt werden. In den meisten Krippenspielen waren das ziemlich trostlose, triste, ermattete Hirten-Rollen, die erst lange Mono- oder Dialoge über die Ungerechtigkeiten der Welt hielten, dann erleuchtet wurden und zum Stall loswackelten. Da gab es auch super selten Zweifler. Die meisten Hirtenrollen waren sauschnell überzeugt von den Engeln und rannten los zum Stall. Mit allem bepackt, was sie verschenken konnten. Alle Tristesse und Trostlosigkeit schien vergessen oder verdrängt. Die meisten sagten dann auch an der Krippe nix mehr, knieten nieder. Vorhang fiel.

Erst Jahre später, als ich schon nicht mehr in Krippenspielen mitspielte oder sie anleitete, tauchten die Hirten wieder in meinem Weihnachtsbild auf. Und dieses Mal blieben sie.

Ich kann nicht sagen, wann sich das konkret veränderte, doch sie wurden mir die Nahbarsten aller Figuren der Weihnachtsgeschichte. Meine „Lieblingsfiguren“. Wie sie da hocken, zappenduster ist es um sie und in ihnen, voller Schiss, dass eines der Schafe verloren geht, die ihnen nicht mal selbst gehören. Ein Knochenjob, auf den wolligen Besitz anderer aufzupassen. Glück, wenn es eine trockene Nacht blieb und das Feuer hielt und sich kein Fies-Troll anschlich, um zu stehlen oder ein Schaf zu reißen.

Für mich müssen sie heute keine Mono- oder Dialoge mehr halten. Ich fühle ihre Sehnsucht nach Gerechtigkeit, nach fairem, bezahlbaren Leben, nach Wärme. Ich fühle ihre Unsicherheit und Angst. Ich fühle ihr Sehnen nach mehr, nach Licht, nach Ankommen und Sein-dürfen. Es fällt mir leicht, mich neben sie zu hocken und in das Feuer zu glotzen und die Gedanken mit ihnen kreisen zu lassen… und kein Ende in Sicht.

Und dann dieser Engel. Oder auch mehrere. Völlig egal. Da taucht Licht am Ende des Tunnels auf. Da gibt es die Zusage „Ihr müsst euch nicht mehr fürchten“. Da gibt es das himmlische Versprechen auf Ankommen und Sein-dürfen. Da eröffnet sich eine neue Perspektive in dieser bitterkalten Tristesse.

Und da fühle ich auf einmal auch Verständnis für das Loswackeln der Hirten und ich staune über ihren Mut.

Manchmal frage ich mich: wäre ich losgewackelt mit allem, was ich zu verschenken habe? Hätte ich das gewagt? Wäre ich das Risiko eingegangen? Hätte ich die „sichere Bank des Schafehütens“ verlassen? Wäre ich aus dem Dreck, den ich kenne, aufgestanden? Immerhin hätte ich doch gewusst, woran ich bin, wenn ich bei den Schafen hocken bleibe. Freilich wäre es nicht schön gewesen, zu bleiben, aber doch gewohnt. Da weiß ich, was ich hab.

Und dann auf der anderen Seite dieser Mut. Die Tristesse hinter sich zu lassen, aus dem bitterkalten Dunkel aufzustehen, alles zu packen und loszugehen. Obwohl ich überhaupt nicht weiß, wie das sein wird. Und auch den Weg nicht so richtig kenne, erst recht nicht das Ziel. Ob das stimmt, was versprochen wurde. Ob ich wirklich ankommen darf und sein… Und dann die Zweifel auf dem Weg: hab ich mich nicht getäuscht? War da wirklich dieses Licht am Ende des Tunnels? Oder war es nur ein Traum, ein Wunsch? Schritt für Schritt weitergehen, zögern, vielleicht stehen bleiben, grübeln, das Risiko bedenken, das erfüllte Herz fühlen. Nächster Schritt.

Und dann ankommen, sein-dürfen, überwältigt sein. Bewegt, dankbar, neu erfüllt. „Fürchtet euch nicht, denn ich habe eine Botschaft, die alle mit großer Freude erfüllen wird“, sagt der Engel zu den Hirten. „Fürchtet euch nicht! Denn siehe ich verkündige euch große Freude, die dem ganzen Volk widerfahren soll.“

Damit löst sich die missliche Lage der Hirten nicht auf, sie müssen trotzdem irgendwann zurück zu der Herde, zum wolligen Besitz der anderen, auf das bitterkalte Feld. In dieser Nacht gab es für sie keinen großen Paukenschlag, der die Weltpolitik verändert und die Ungerechtigkeiten der Gesellschaft weggefegt hätte. Auch wenn das vielleicht in einem Hollywood-Blockbuster so erzählt worden wäre.

Was die meisten Krippenspiele nicht mehr erzählen: nach dem Ankommen im Stall und dem Verweilen im Stroh ging es mit hoher Wahrscheinlichkeit zurück. Doch stelle ich mir die Schritte der Hirten leichter vor, die Herzen erfüllter. Mit einer Hoffnung, die sie vorher nicht hatten und einem Licht in sich – in diesem Zappenduster des Hirtenseins.

Und da hocke ich mich wieder zu ihnen. Glotze mit ihnen wieder ins Feuer. Lasse die Gedanken kreisen und fühle mit den Hirten diese neue, wunderlichte Weihnachts-Hoffnung im Herzen.

Und wenn du magst: da ist ein Platz für dich am Feuer 🙂 !