20. Mai, Abends in Leipzig.
Ich bin viel zu früh. Irgendwie mache ich mir immer Sorgen, dass ich keinen Parkplatz bekomme, wenn ich in „die Stadt“ muss. Besonders wenn das Ziel der „hippe“ Leipziger Westen. Um das Thema Parkplatzsuche rödelten meine Gedanken schon heute Nachmittag. Die Klamottenfrage hatte ich gestern schon entschieden – es sollte sommerliche Temperaturen geben, also auf jeden Fall Sandalen. Dazu meine neue schwarze Hose, leichtes schwarzes Shirt und darüber der schöne gehäkelte beigefarbene Poncho. Und ich wollte die großen Holzohrringe tragen – kein Makeup. Wie immer. Wohlfühlen in meiner Haut, so wie ich täglich auf Arbeit bin und auch, weil ich weiß, wie sehr ich schwitzen könnte vor Aufregung.
Inzwischen ist das Auto geparkt, ich habe noch 25 Minuten, bevor ich reingehen werde. Zu früh macht keinen hübschen Eindruck und Eindruck will ich heute auf jeden Fall machen. Erst recht, weil ich nichts zu verlieren habe. Noch 24 Minuten. Also entschließe ich mich, noch ne Runde um den Block zu laufen, zu atmen, in Gedanken alles nochmals durchzugehen, was mir wichtig ist. Nicht, dass ich das nicht längst schon getan hätte, doch es beruhigt mich. Kurz vor halb sieben nähere ich mich dann dem Eingang, neugierige Gesichter begrüßen mich, wir setzen uns – in mir ist es ganz ruhig. Zwei Schweißtropfen laufen mir langsam über die Stirn- ich kenn mich, wie immer 😉 Gut, dass nichts verlaufen kann. Das Taschentuch ist schon bereit.
Und jetzt heißt es: Mensch, einfach machen! In vielen Momenten, in denen ich nicht so ganz weiß, was auf mich zukommt, fällt mir dieser Spruch wieder ein. Den Slogan habe ich das erste Mal in der Diakonie aufgeschnappt, als ich in den Freiwilligendiensten gearbeitet habe. Einfach machen! Was soll schon passieren, trau dich! Machen, auch wenn du nicht weißt, ob es „einfach“ wird. Hauptsache loslegen.
Die kommende Stunde ist dann Ruhe in mir, ein kleiner Frieden nach dem ich mich schon lange sehne. Ich spreche alles an, was mir wichtig ist. Ich kann alle Fragen stellen. Auch die anderen haben Fragen und ich kann ehrlich antworten, ohne mich nackig zu machen. Und am Ende des Gespräches habe nicht nur ich ein Ja zur Zusammenarbeit. Wenige Tage später werde ich der neuen Stelle zusagen und damit ein entsetzlich anstrengendes und aufreibendes halbes Jahr beenden.
5. Juni, später Vormittag in Leipzig
Zum Glück hat die Augenärztin mich mit den Pupillenweitenden Tropfen heute verschont. Die vierteljährliche Kontrolle lief halbwegs überraschungsfrei ab. Mit dem Aufatmen in mir, fahre ich ins Verlagsbüro. Drucken will ich, eine Seite. Daheim habe ich keinen Drucker, also mache ich mich auf den Weg. Das Dokument hatte ich schon daheim aufgesetzt, doch wichtig war die originale Unterschrift. Also Drucken, dann Post.
Im Büro ist es ungewohnt still. Die Kollegen scheinen alle außer Haus zu tun zu haben, so schalte ich den Rechner an und lasse mich auf dem Drehstuhl nieder. Dropbox auf, Dokument öffnen, drucken. Sofort springt das Gerät an, rattert das A4-Blatt raus. Ich stehe auf, greife mir das Papier und setze mich wieder. Der Stift liegt hier zur Unterschrift bereit.
Nach mehr als vier Jahren treffe ich einen Entschluss und verschaffe mir damit Klarheit. Auch, wenn ich nicht weiß, was kommen wird. Auch wenn gänzlich offen ist, wie das finanziell gehen kann. Ich werde mit diesem Papier meine unbefristete Festanstellung kündigen; meine geliebte Tätigkeit der Fachberatung aufgeben und ins beruflich Ungewisse starten. Ich werde meinen Arbeitgeber verlassen und für mich eintreten. Ein halbes Jahr voller unaussprechlicher Momente, Unverständnis, Enttäuschung und Mobbing liegt hinter mir und ich beende das heute aktiv. Ich treffe für mich diese Entscheidung – ohne absolute Klarheit, doch voller Gewissheit, dass ich für mich das Richtige tun muss. Und das ist im besten Sinne Kapitulation – für mich. Mensch, machen – auch wenn es sich nicht einfach anfühlt.
30. Juli, morgens in Markranstädt
Das alte Büro ist längst geräumt, das Chaos daheim sortiert, die Abschiedsmails geschrieben, der Resturlaub genommen. Heute ist mein „vorletzter, alter Tag“. Ich sitze in der Physiotherapiepraxis und mein Blick wandert zur Eingangstür. Neben ihr hängt der „Impulskalender“ und meine Augen bleiben am heutigen Spruch kleben: „Wer absolute Klarheit will, bevor er einen Entschluss fasst, wird sich nie entschließen.“
Innerlich schmunzelnd, denke ich: „Amen, so ist es!“ Ich bin sehr froh, dass ich mich aus meiner Ohnmacht befreien und mich für die neue berufliche Perspektive entscheiden konnte. Trotz fehlender Klarheit, ob das alles klappt. Doch voller Mut und Entschlossenheit und mit einem inneren Frieden. Mensch, einfach machen!
Morgen werde ich den neuen Arbeitsvertrag unterschreiben und ab Freitag gehöre ich dann offiziell beruflich wieder nach Leipzig. Die Kirchgemeinden des Leipziger Westens haben ihre Projektstelle mit mir besetzt und ich freue mich sehr auf die neue Aufgabe. Ich darf für die Altersgruppe 20-40Jährige ein Konzept erstellen, Projekte testen und auch „erforschen“, was dieser Altersgruppe an Kirchgemeinde und Glauben wichtig ist. (an dieser Stelle vorgegriffen: ich werde euch in einem anderen Blogbeitrag in den kommenden Wochen mehr davon erzählen)
Und da es sich dabei um eine kleine Anstellung handelt, werde ich mich „den Rest“ meiner Zeit meinem Studium widmen und meine Selbstständigkeit ausbauen. Was ich da mache? Schau gern mal rein:
Klingt für dich, deine Arbeitsstelle, deine Einrichtung und Organisation interessant? Dann freue ich mich über deine Anfrage oder Nachfrage oder den ein oder anderen Auftrag 🙂
Mensch, (einfach) machen. Ob die kommende Zeit „einfach“ wird? Ich vermute, eher nicht. Doch ich habe mich entschieden und ich vertraue auf den inneren Frieden in mir, beruflich neu zu starten und hoffentlich anzukommen. Susann, einfach machen – es wird gut, sowieso.
Und für alle Unentschlossenen, Unentschiedenen, Fragenden, Suchenden, Abwägenden unter euch Lesenden: wartet nicht auf absolute Klarheit, traut euch, entscheidet euch, einfach machen 🙂 Es wird gut, sowieso.