Als Zäsuren kennen die Literaten ein Atemholen im Vers, die Geschichtswissenschaftler einen eindeutigen Einschnitt, die Komponisten nutzen das Mittel der Zäsur als markante Veränderung im Stück, Fußballer ziehen eine Halbzeitzäsur im Spiel und die meisten Menschen am sylvestrischen Ende eines Kalenderjahres.

Ich mag Zäsuren als Atemholen, denn das bedeutet: stehenbleiben, anschauen, inne halten, die Brust weit machen, nachdenken, Atem holen und erst dann den nächsten Schritt gehen. Ich verrate euch hiermit: Zäsuren passieren oft in meinem Alltag, denn häufig, wenn ich meinen Papierkalender öffne und das Datum sehe, geschieht in meinem Kopf eine Verbindung zu einem anderen Jahr – eine Erinnerung als Zäsur und dann geschieht genau das für einen Bruchteil eines Moments: ich bleibe stehen in meinem Tag, schaue mir die Erinnerung an, halte inne, denke nach, mache die Brust weit und hole neu Atem und erst dann gehe ich weiter in meinem Tag, trage den neuen Termin in meinen Kalender.

So erging es mir auch diese Woche, denn meine Rückkehr nach Deutschland jährte sich zum ersten Mal. Es war ein größeres Atemholen als sonst, denn starke Erinnerungen durchflossen mich an meine Reise und vor allem auch an die letzten Monate in Deutschland. So vieles ist geschehen und ich staune über all das, was gekommen und gegangen, gelungen und missglückt ist.

… Ich denke an die ersten Wochen in Deutschland letzten Sommer, als ich zwischen den Welten hing, noch nicht in meine Wohnung konnte, zwischen Leipzig und Affalter pendelte, meine Sachen aussortierte und einen Flohmarkt veranstaltete. … Ich denke an die vielen zögerlichen Umarmungen des Wiedersehens im ersten Coronaspätsommer, denke an die vielen Nächte, in denen ich versuchte gemeinsam mit Casey ein neues Visum für mich zu beantragen. … Wie ich meine Wohnung kündigte und Englisch intensiv paukte, meinen C2 Abschluss errang und dachte, ich breche bald wieder auf. … Wie ich mich mit den Ämtern herumschlug und wie ich die vielen Gespräche genoss mit all den lieben Menschen, die ich so lange nicht gesehen hatte. … Wie Deutschland in den nächsten Lockdown und ich in meinen ersten Lockdown hier ging, wie still es wurde, weil man sich nicht mehr einfach so treffen konnte, erinnere mich an den Schnee, der fiel, und daran, dass ich meine Wohnungskündigung zurückzog als klar wurde, dass an eine Ausreise vorerst nicht zu denken war. … Erinnere mich an das Weihnachtsfest in Leipzig, denke an das letzte Telefonat mit Casey kurz nach Weihnachten und an unseren tränenumflossenen Abschied, denke an den dritten Anlauf, mein Buch zu schreiben. … Viele Monate am Rechner, viele Tage vor dem Bildschirm, erinnere mich, wie ich Bilder für das Buch aussuche und mich nach Affalter ummelde, um meine Familie ganz offiziell besuchen zu können. … Ich denke an den Frühling, der spät aber mit herrlicher Wucht kam, an den Zaunbau in meinem Garten und die vielen Bewerbungen, die ich schrieb, um eine neue Arbeit zu finden. … Denke an die Gänseblümchen und die Sonne auf meiner Haut, die ich so lange nicht gefühlt hatte, die langen Spaziergänge mit Rumo, die Vertragsunterzeichnung für meine neue Arbeitsstelle und an den Beginn der berufsbegleitenden Ausbildung zur systemischen Beraterin. … Ich denke an die unzähligen Tierarzttermine mit Rumo, seine OP vor einer Woche, die Nächte ohne richtigen Schlaf. Fühle die Erleichterung, dass es nun bergauf geht mit deinem kleinen, älteren Hundemann. … Ich erinnere mich an die Drucklegung des Buches, denke an die Lesung in Halle, schmunzle gerade, weil ich auch an meine „Lesermails“ denke und an die zahlreichen Wünsche nach der Fortsetzung… Vielleicht, eines Tages 😉 …

Ich mag Zäsuren. Nicht, weil ich melancholisch nach dem Zurückliegenden schaue, sondern weil ich stolz, bereichert, glücklich meine Brust heben kann, Atemholen und den nächsten Schritt gehen, vor allem mit dem tiefen Wissen im Herzen, dass ich reich beschenkt bin durch alles, was da war und gut gerüstet, für alles, was da kommt.

Und weil es in dieser Woche so passt, noch ein paar Bilder von Rumo und mir: