Schlagwort: Advent

Vorfreude

In den kommenden Wochen mag ich ab und an eine meiner liebsten Geschichten und Texte mit dir teilen. Heute gibts von Till Raether „Das Verschwinden der Vorfreude“:

Wie läuft das eigentlich: Kippen wir einander am Weihnachtsmorgen 24 Schokoladentäfelchen auf den Tisch und sagen: „Zack, hier, zur Feier des Tages?“ Nein, denn das würde dem Prinzip Weihnachten widersprechen: Alles auf einmal zu wollen ist das Gegenteil von freudiger Erwartung. Lieber jeden Tag ein anderes Stück Schokolade hinter den Türchen des Adventskalenders als alle auf einmal. Weil wir vor Weihnachten etwas tun, was wir so gut wie verlernt haben: Wir zelebrieren Vorfreude.

Früher waren zum Beispiel Schallplatten, Bücher und Filme Quellen der Vorfreude. Wenn Kate Bush eine neue Platte rausbrachte, muss man warten, bis es sie im Plattenladen gab. Der Plattenhändler sagte: Vielleicht am Freitag, spätestens Montag. Wenn sie dann da war, musste man sie nach Hause tragen. Auf dem Weg konnte man sie nicht hören, man konnte sie sich höchstens vorstellen. Zu Hause musste man die Platte aus der Hülle holen, dann aus der Innenhülle, sie dann in einer Hand balancieren, ohne aufs Vinyl zu fassen, den Deckel des Plattenspieler hochklappen und so weiter – alles reine, unverfälschte Vorfreude.

Wir freuen uns nicht mehr auf Fotos, denn wir haben sie ja schon gesehen, hinten auf der Kamera, während sie gemacht wurden. Wir freuen uns nicht mehr auf interessante Neuigkeiten: Niemand muss mehr bis zu den nächsten Nachrichten warten, um die Bundesliga-Ergebnisse zu erfahren. Schleichend verschwindet die Vorfreude auch aus unseren Beziehungen und Freundschaften. Wenn einem früher was Lustiges oder Interessantes passierte, dachte man bei sich: „Hehe, wenn ich das meinen Freunden erzähle!“ Wenn man heute erzählt, dass einem das Auto abgeschleppt wurde mit der Geburtstagstorte auf dem Beifahrersitz, heißt es nur noch: „Ja, stimmt, hast du ja letzte Woche schon auf Facebook gepostet.“

All das ist keine Nostalgie, sondern nüchterne Zwischenbilanz im Kulturkampf zwischen Vorfreude und dem, was Wirtschaftswissenschaftler „instant gratification“ nennen, sofortige Belohnung. Im Moment steht es 1:0 für das Team „instant gratification“. Was dumm ist, denn wir brauchen die Vorfreude. Unser Gehirn ernährt sich gerade zu von ihr. Sie dient ihm dazu, allerhand positive Fähigkeiten auszubilden. Zum Beispiel Zuversicht. Oder: ein realistisches, aber positives Selbstbild. Lebenszufriedenheit.

Wenn man abends im Bett liegt, an den nächsten Tag denkt und feststellt, dass es nichts gibt, worauf man sich freuen kann – dann ist es höchste Zeit, etwas zu verändern. Indem man wieder verbindliche Verabredungen trifft, auf die man sich freuen kann, statt sich bis zum letzten Moment alles offen zu lassen. Indem man Dinge plant, die sich nicht runterladen lassen, analoge Vergnügungen wie Spaziergänge, Kochen, Sport oder einen Museumsbesuch. Indem man wieder lernt, die Termine, die einem bevorstehen, nicht als Stress zu empfinden, sondern als etwas, worauf zu warten sich lohnt. Dann wäre das Leben auch ab Januar wieder hier und da wie die Vorweihnachtszeit für ein Kind.

(aus: Der andere Advent 2019/20)

back to me…

Für mich hat heute die Adventszeit begonnen. Gestern der Ewigkeitssonntag – mancherorts auch Totensonntag – heute dann die beginnende Stille mit dem Warten auf Weihnachten. Gestern noch habe ich über das Dunkel und den Himmel, das Ende und das Licht am Ende des Tunnels nachgedacht. Habe geweint, schmunzelnd erinnernd, sehnend gehofft. Mit dem heutigen Montag findet für mich die Hoffnung des Ewigkeitssonntag mitnichten ein Ende, im Gegenteil: es schließt sich der Kreis. Advent ist Warten auf Weihnachten. Und Warten auf Weihnachten heißt für mich: Warten auf das Licht, warten auf den Hoffnungsschimmer. Meinen Blick in den Himmel richten und dem Stern vertrauen, dass er mich zum guten Ziel führt.

Wenn man den Supermärkten folgt, dann ist seit September Advent: Plätzchen, Spekulatius, gefüllte Spitzen, Stollen, Stollenkuchen, Weihnachtsgebimmel- und Gebammel, Glitzer und Glotzen, kletternde Weihnachtsmänner und Plastikweihnachtsbäume… Da kann man dann drei Monate Vorweihnachtszeit, vier Wochen Glühweinrausch auf dem Weihnachtsmarkt und drei Tage Weihnachten in sich reinschaufeln, bevor das Geböller eine Woche vor Silvester beginnt und spätestens am 6. Januar – denn dann gibt es ja die ersten Tulpen wieder im Laden – ein Ende nimmt.

Versteh mich nicht falsch: ich liebe Plätzchen und Stollen, Räucherduft und Männeln wecken, Schwibbögen und Baum schmücken, Geschenke packen und auch auswickeln. Doch alles zu seiner Zeit. Das ständige „zu früh, zu viel“ ist mir „zuwider“. Ich mag das Leise, Feine, das Zartwinkende am Advent, das „wartende Anschleichen“ auf Weihnachten hin und ja: Stollen gibt es bei mir erst am 25. Dezember 🙂

Wer mich besser kennt, der weiß, dass für mich das Jahresende und der Jahreswechsel die anstrengendste Zeit des ganzen Jahres sind. Bei allem schönen Licht und Gerüchen des Advents und Weihnachten jongliere ich in diesen Tagen am meisten mit meiner Energie. Ich fühle mich schneller ausgelaugt von meinen Gedanken, meinen Erwartungen, meinem inneren Sortieren, den Erwartungen der anderen… diese Wochen fühlen sich für mich zu schnell zu überladen an und ich warte vermehrt nicht auf Weihnachten, sondern auf die „normale Zeit“ im Januar.

Aus diesem Grund habe ich es „geliebt“, in der Gemeinde Advent- und Weihnachten durchzuackern, um mich abzulenken. Später dann auch Weihnachten und Silvester im Ausland zu verbringen – gefühlt weg von allem Anstrengenden. Und im Reisen kam ich mich vor allem „wieder zu mir“ – „back to me“.

Wenn ich allein reise, dann bin ich schneller bei mir, dann kann ich besser auf mich und meinen Energiehaushalt acht geben, dann merke ich leichter meine Bedürfnis, dann wird es einfacher still und ruhig in mir. Und auch wenn ich in diesem Jahr alle Tage in Deutschland bin, wünsche ich mir dieses „back to me“ für den Advent und die anschließende Weihnachtszeit. Ich wünsche mir, den Fokus vorrangig bei mir zu halten, Zeit für und mit mir zu haben neben all den kleinen, feinen Momenten mit meinen Lieben.

Und so nehme ich mir für den Advent etwas vor: ich möchte es, wie bei den Reisen halten. Da gibt es weniger Netz, da bin ich tagsüber kaum oder gar nicht erreichbar, da kann ich mein Handy schneller weglegen und eher die Stille genießen.

Deswegen wundere dich nicht, wenn ich in den kommenden Wochen kaum, verzögert, später schreibe oder zurückrufe. Ich bin auf dem Weg „back to me“, wartend auf das Weihnachtslicht. Detoxing könnte man neudeutsch sagen, voller Vorfreude auf das, was da kommen wird 🙂 Ich richte meinen Blick in den Himmel und vertraue dem Stern, dass er mich gut führen wird.

In diesem Sinne wünsche ich auch dir einen wunderbaren, wunderlichten, stillfeinen Advent!

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